Für die Familie
2. Kursstunde: Kenntnis der kindlichen Entwicklung


2. Kursstunde

Kenntnis der kindlichen Entwicklung

Damit sich ein Kind gesund entwickeln kann, ist es unerlässlich, dass es nach und nach dazulernt. Eltern können dafür ein sicheres, förderndes Umfeld schaffen.

Ziele der Lektion

In dieser Kursstunde soll erreicht werden, dass die Eltern

  • verstehen, dass es wichtig ist, Kindern dann etwas beizubringen, wenn sie entwicklungsmäßig bereit dafür sind

  • Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen kennen

  • Warnsignale für eventuelle Entwicklungsprobleme eines Kindes kennen

Kinder entwickeln sich Schritt für Schritt

Manche Kinder bekommen Probleme, weil ihre Eltern übertriebene und unangemessene Erwartungen an sie stellen. Elder Neal A. Maxwell vom Kollegium der Zwölf Apostel hat betont, dass „ein Gott, der seine Kinder unterweist, ihnen vielleicht auch etwas Schweres abverlangt“, dass er aber „niemals etwas Schwieriges gebietet, ohne ihnen auch den Weg dorthin zu ebnen (siehe 1 Nephi 3:7)“.1 Der himmlische Vater erwartet von seinen Kindern nichts, was unmöglich ist, daher dürfen auch irdische Eltern nichts Unmögliches von ihnen erwarten.

Manchmal fordern Eltern von ihren Kindern etwas Unrealistisches, weil sie nicht wissen, was sie in dem jeweiligen Entwicklungsstadium von ihnen erwarten können. Präsident N. Eldon Tanner, ehemaliger Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, stellte fest, dass Kinder „sich so verhalten möchten, wie diejenigen, die für sie verantwortlich sind, es von ihnen erwarten“.2 Wenn Kinder den unrealistischen Erwartungen ihrer Eltern nicht entsprechen können, haben sie häufig das Gefühl, ein Versager zu sein. Sie meinen, unzulänglich oder nicht ganz normal zu sein, andere nur zu enttäuschen und zu nichts zu taugen. Dauerhafte Schäden können entstehen, wie Minderwertigkeitsgefühle, Unsicherheit, Ängste, Depressionen und mangelndes Einfühlungsvermögen.

Aus den heiligen Schriften geht hervor, dass Fortschritt, also auch die physische und geistige Entwicklung, auf geordnete Weise vor sich geht. Johannes bezeugte: „[Jesus Christus] empfing zuerst nicht von der Fülle, sondern ging von Gnade zu Gnade, bis er eine Fülle empfing.“ (LuB 93:13.) Damit sich ein Kind gesund entwickeln kann, ist es unerlässlich, dass es nach und nach dazulernt. Es gibt Zeitpunkte in der Entwicklung jedes Kindes, wo es physisch, intellektuell und psychisch bereit dafür ist, etwas ganz Bestimmtes zu lernen, wie zu laufen, zu sprechen oder selbständig zu essen. Eltern können dafür sorgen, dass ihre Kinder in einem sicheren und fördernden Umfeld lernen und sich weiterentwickeln können, anstatt sie dazu zu drängen, dass sie etwas lernen, wofür sie noch nicht bereit sind.

Obwohl aus Studien hervorgeht, dass körperliche und mentale Fähigkeiten sich häufig in bestimmten Stadien herausbilden, ist dennoch jedes Kind einzigartig. Viele Faktoren, nämlich Erbanlagen, Temperament, Erziehungsweise und das Umfeld haben Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Die Eltern brauchen sich keine Sorgen machen, wenn ein Kind für manche Lernschritte etwas länger braucht, sie sollen aber auch gelassen bleiben, wenn ein Kind anscheinend etwas voraus ist. Solche Abweichungen sind oft nur vorübergehend und sagen wenig über die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes aus. Besser ist es da, sich über den allmählichen Fortschritt jedes Kindes zu freuen.

Das Kind lernt, wenn es dafür bereit ist

Die Bereitschaft ist ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung eines Kindes. Eltern können vielen Problemen vorbeugen, wenn sie ihrem Kind erlauben, in seinem eigenen Tempo zu lernen. Anstatt darauf aus zu sein, dass ein Kind ihren Erwartungen entspricht, sollen sie lieber versuchen, auf seine Bedürfnisse einzugehen.

Beispielsweise sind Kinder mit etwa einem Jahr bereit, laufen zu lernen. Die Eltern können auf Anzeichen dafür achten, dass das Kind soweit ist: Es kann sich dann an Möbeln hochziehen und steht oder läuft sogar schon, wenn es sich daran festhält. Die Eltern können mit dem Kind spielen, indem sie es halten, wenn es steht, und es ein, zwei Schritte laufen lassen. Dadurch lernt das Kind möglicherweise früher laufen, als wenn es sich selbst überlassen bleibt. Ist das Kind allerdings körperlich noch nicht in der Lage, sich aufrecht zu halten, nützt dieses Spiel nichts; es frustriert das Kind nur und kann sogar zu körperlichen Schäden führen. Auf lange Sicht profitiert ein Kind nicht davon, wenn es vorzeitig laufen kann; es lernt laufen, wenn es dafür bereit ist.

Auch die Blasen- und Darmkontrolle soll man mit dem Kind erst üben, wenn es emotional und körperlich bereit dafür ist. Von einem Kind zu erwarten, dass es mit zwei Jahren schon tags und nachts ohne Windel auskommt, kann unrealistisch sein und es überfordern. Dass das Kind allmählich soweit ist, zeigt sich daran, dass es einfache Aufforderungen seiner Eltern verstehen kann, dass es versucht, seine schmutzige Windel loszuwerden und nachahmt, was es seine Eltern auf der Toilette tun sieht.3 Manche Kinder sind selbst mit drei Jahren und darüber körperlich noch nicht so weit, dass sie die ganze Nacht durchschlafen, ohne einzunässen oder nochmals zur Toilette zu gehen. Eltern, die das wissen und akzeptieren, bleiben gelassener, wenn ihr Kind einmal ins Bett nässt. Reagieren Eltern darauf verärgert oder bestürzt, riskieren sie dadurch nur, das unerwünschte Verhalten zu verstärken. Stattdessen sollen sie ruhig bleiben und geduldig sein. So wird das Kind schließlich lernen, seine Blase zu kontrollieren.

Ebenso dürfen Eltern auch nicht erwarten, dass ein vierjähriges Kind lernen kann, ohne Stützräder Rad zu fahren. Den meisten Kindern in diesem Alter fehlt dafür noch die nötige Koordinationsfähigkeit. Mit sechs oder sieben Jahren dagegen können die meisten Kinder auf einem Rad in der passenden Größe ohne Stützräder fahren.

Im Haushalt zu helfen kann man Kindern dann am besten beibringen, wenn die Kinder von sich aus helfen möchten, einen Ball zu werfen dann, wenn sie Ball spielen wollen, ihre Haare zu kämmen, wenn sie versuchen, das selbst zu tun. Außerdem klappt all das besser, wenn die Eltern sich darum bemühen, dass diese Lernerlebnisse auch Spaß machen. Sie sollen das Kind reichlich anspornen und für all seine Bemühungen loben. Wenn Eltern zu früh zu viel erwarten, verliert das Kind häufig den Mut und das Interesse daran, etwas Neues zu lernen.

Entwicklungsphasen

Die soziale und emotionale Entwicklung läuft in mehreren Phasen ab, die sich in etwa einem bestimmten Lebensalter zuordnen lassen. Damit ein Kind sich normal entwickelt, muss es jede dieser Phasen erfolgreich durchlaufen. Die nachstehenden Angaben zu den Entwicklungsphasen sind nur als Anhaltspunkte zu verstehen. Jedes Kind entwickelt sich auf seine Weise; wenn es früh schon sehr weit ist, garantiert das noch nicht, dass im weiteren Leben alles glatt verläuft. Wenn Eltern die Eigenheiten jedes Kindes kennen und es so, wie es ist, lieb haben, können sie ihm am ehesten helfen, sich zu einem reifen, fähigen Erwachsenen zu entwickeln.4

Das Kind lernt zu vertrauen (1. Lebensjahr)

Fürsorgliche Eltern erfüllen die Bedürfnisse ihres neugeborenen Babys. Sie erkennen Anzeichen für Hunger oder Unwohlsein. Meistens schreit das Neugeborene, wenn es ihm nicht gut geht. Die Eltern können es dann auf den Arm nehmen, es liebkosen und seine körperlichen und emotionalen Bedürfnisse stillen. Sie trösten das Baby so lange, bis es sich beruhigt hat und sich wieder geborgen fühlt.

Wenn Eltern erkennen, wann ihr Neugeborenes Hunger hat oder sich unwohl fühlt, und sie es liebevoll versorgen, lernt das Baby zu vertrauen – und zwar auch darauf, dass derjenige, der es versorgt, auch in Zukunft seine Bedürfnisse erfüllen wird. Das Baby entwickelt eine Bindung zur Mutter oder zum Vater und fühlt sich bei ihr oder ihm geborgen. Auch die Liebe der Mutter oder des Vaters zum Baby wächst dadurch.

Wenn Eltern nicht auf die Bedürfnisse eines Babys eingehen, fühlt es sich unsicher und ängstlich und lernt nur schwer, anderen zu vertrauen. Wenn man ein unruhiges Baby häufig seinem Ehepartner gibt, kann man kaum eine feste Bindung zum Baby herausbilden.

Kinder, deren Eltern nicht auf sie eingegangen sind, fühlen sich oft unerwünscht und ungeliebt und können sich selbst nicht als wertvollen Menschen betrachten. Sie haben häufig Schwierigkeiten in Beziehungen und sind allzu sehr darauf angewiesen, dass andere ihnen das Gefühl geben, etwas wert zu sein. Manche suchen ersatzweise Befriedigung, beispielsweise durch exzessives Fernsehen, zwanghaftes Essen, sexuelle Zügellosigkeit oder Drogenmissbrauch.

Das Kind wird selbständiger (1 bis 3 Jahre)

Zu dieser Phase gehört das sogenannte Trotzalter, in dem das Kind alle Kraft daran setzt, selbständig und unabhängig zu werden. (Trotzverhalten tritt oft erst ab etwa zwei Jahren auf.) Das Kind lernt allmählich, seinen Körper zu beherrschen, so auch die Blasen- und Darmfunktion, und es lernt, mit seiner Umwelt umzugehen. Es lernt zu rennen, selbständig zu essen, aus einer Tasse zu trinken, Spielzeug hinter sich herzuziehen, Türen zu öffnen, auf Möbel zu klettern und sich die Hände zu waschen und abzutrocknen. Mit etwa zweieinhalb Jahren ist das Kind oft sehr stur und fordernd; es fällt ihm schwer, sich anzupassen oder auf etwas zu warten, was es haben will. Die meisten Kinder durchlaufen diese Phase, unabhängig davon, wie sie erzogen werden.

In dieser Entwicklungsphase wollen die Kinder unbedingt selbständig sein – bei den Mahlzeiten, zur Schlafenszeit und beim Gang auf die Toilette. In diesem Alter ist es normal, dass Kinder sich für Körperteile interessieren, es bietet sich also an, dass die Eltern ihnen eine geeignete Bezeichnung für die Geschlechtsteile beibringen.

Wenn die Eltern mit der richtigen Einstellung herangehen, können sie auch diese Entwicklungsphase ihres Kindes genießen. Sie helfen dem Kind, indem sie geduldig sind und ihm erlauben, innerhalb annehmbarer Grenzen selbständig zu handeln. Gut ist es auch, wenn sie ihm Wahlmöglichkeiten vorgeben (siehe 8. Kursstunde), das kann Machtkämpfen vorbeugen. Sie müssen sich klarmachen, dass diese Phase vorübergeht, aber für ihr Kind sehr wichtig ist. Wenn man dem Kind hilft und es versteht, kann es mit der Zeit Selbstbeherrschung lernen und dadurch dauerhaft Selbstachtung und Bereitwilligkeit entwickeln.

Die Wohnung soll so gestaltet werden, dass das Kind rennen und seine Umgebung erforschen kann, ohne sich zu verletzen oder etwas zu beschädigen. Die Eltern sollen sich an ihrem Kind freuen, Zeit mit ihm verbringen, ihm zeigen, wie es mit anderen spielen kann, und ihm beim Zubettgehen vorlesen. Ist eine Erziehungsmaßnahme notwendig, sollen die Eltern fest, aber liebevoll sein. Wenn sie Nein sagen, brauchen sie das in diesem Alter normalerweise noch nicht zu begründen. „Weil ich es gesagt habe“, reicht in der Regel aus.

Als Erziehungsmaßnahme eignet es sich für Kinder in dieser Entwicklungsphase meist gut, Fehlverhalten zu ignorieren oder Konsequenzen einzusetzen.

Diese prägenden frühen Lebensjahre sind wie geschaffen dafür, das Kind auch im geistigen Bereich zunehmend zu unterweisen.

Der Tatendrang muss gelenkt werden (3 bis 6 Jahre)

In diesem Alter hat das Kind einen Überschuss an Energie und bemüht sich, dazuzulernen und Aufgaben zu bewältigen. So spürt es, dass es etwas kann und in seine Welt eingebunden ist. Das Kind hat eine überbordende Phantasie, die auch nicht frei von Gewalt und Aggression ist, sodass es sich manchmal schlecht fühlt. Wenn das Kind seine Energie nicht auf positive Weise ausleben kann, fühlt es sich möglicherweise machtlos, unglücklich oder ängstlich.

Mit vier Jahren können die meisten Kinder hüpfen, auf einem Bein stehen, Dreirad fahren, einen Ball kicken und selbständig treppauf und treppab gehen. Sie spielen nun wirklich miteinander, stellen viele Fragen und spielen Phantasiespiele.

Ein Kind in diesem Alter erzählt gern unglaubliche Geschichten, wobei es seine Phantasien selbst für wahr hält. Es ist manchmal kaum zu bändigen und widersetzt sich seinen Eltern. Unter Umständen schlägt es, tritt, macht Dinge kaputt, provoziert verbal oder läuft weg. Wenn die Eltern allerdings deutlich erklären, was sie erwarten, aber nicht zu streng sind, sondern dem Kind etwas Freiraum lassen, ist es oft erstaunlich aufgeschlossen.

Mit sechs Jahren können die meisten Kinder Rad fahren, Schnürsenkel binden, einen Ball prellen oder schlagen sowie bis 100 zählen. Sie sind in der Regel aktiv und voller Tatendrang. Ihr Gefühlsleben gerät manchmal in Aufruhr, sodass sie nicht selten abwechselnd Liebe und Abneigung zum Ausdruck bringen. Ein Kind dieses Alters möchte gern im Mittelpunkt stehen, hat aber noch kein gefestigtes Selbstwertgefühl. Es setzt gern seinen Kopf durch. Wenn es zu etwas aufgefordert wird, kann es ziemlich ungezogen und streitlustig werden.

Viele Kinder haben in diesem Alter Alpträume. Manchmal können sie sich nicht zwischen zwei Alternativen entscheiden, weil sie beides wollen. Sie wollen unbedingt ihren Kopf durchsetzen.

Es hilft dem Kind, wenn die Eltern es geduldig und liebevoll behandeln. Sie sollen bestimmt auftreten, aber dem Kind erlauben, sich innerhalb klar definierter Grenzen zu erproben. Die Eltern sorgen für Struktur, indem sie Regeln für das Fernsehen aufstellen, für die Aufgaben im Haushalt, die Schularbeiten und das Zubettgehen. Erziehungsmaßnahmen sollen auf liebevolle und freundliche Weise durchgeführt werden, indem die Eltern Wahlmöglichkeiten vorgeben oder bei Fehlverhalten Konsequenzen einsetzen. Die Eltern sollen sich Zeit für ihr Kind nehmen, ihm vorlesen und Anteil daran nehmen, was es zu Hause und in der Schule tut. Sie sollen dafür sorgen, dass das Kind Zeit hat, seine Welt zu erforschen, im Freien herumzutollen und mit anderen zu spielen.

Das Kind lernt, fleißig zu sein (6 bis 12 Jahre)

Diese Phase umfasst die Zeit vom Schuleintritt bis zur beginnenden Pubertät. Das Kind freut sich daran zu lernen, gute Noten zu bekommen und Fähigkeiten zu entwickeln; dadurch gewinnt es an Selbstvertrauen. Sein soziales Umfeld erweitert sich, und wenn das Kind im Vergleich mit anderen gut mithalten kann, fühlt es sich angenommen und leistungsfähig. Liegt das Kind hinter den anderen zurück, fühlt es sich oft minderwertig. Wie es aus dieser Phase hervorgeht, ist von großer Bedeutung für das Kind. Hat es gelernt, fleißig zu sein, packt es die Herausforderungen des Lebens meist optimistisch an. Hat es nicht gelernt, fleißig zu arbeiten, flüchtet es sich vielleicht in Verhaltensweisen, die ihm schaden.

Mit acht Jahren können die meisten Kinder schon schreiben. Viele haben Sinn für Humor entwickelt. Sie können unterscheiden, was richtig und falsch ist. Die Kinder sind in der Regel sehr aktiv und gesellig und haben einen besten Freund oder eine beste Freundin. Sie wollen es mit der Welt aufnehmen.

Ein achtjähriges Kind hilft in der Regel gern im Haushalt; dann spürt es, dass es wichtig ist und etwas schaffen kann. Normalerweise kommt es den Aufforderungen der Eltern nach, widersetzt sich allerdings, wenn man es herumkommandiert.

Mit zehn Jahren beginnt die Vorpubertät. Das Kind ist eher ruhig, folgsam und umgänglich. Oft ist es gesellig, kooperativ und fleißig und hilft zu Hause bereitwillig mit. Es hält viel von seinen Eltern, aber auch die Meinung seiner Freunde ist ihm wichtig. Es nimmt gern an Gruppenaktivitäten in der Kirche und in der Schule teil.

Mit zwölf Jahren sind viele Mädchen bereits in der Pubertät. Im Großen und Ganzen kommen sie zu Hause und in der Schule gut zurecht, aber viele durchleben eine emotionale Achterbahnfahrt. Entsprechend verhalten sie sich abrupt wechselnd einmal kindlich, einmal erwachsen, einmal verantwortungsbewusst, einmal verantwortungslos. In einem Moment stellen sie Regeln auf die Probe, im anderen verlassen sie sich auf sie. Die äußere Erscheinung wird ihnen wichtig. Freundschaften können sehr plötzlich wechseln.

Körperliche Veränderungen stehen für die Kinder jetzt sehr im Vordergrund, zeigen sie ihnen doch, dass sie sich ebenso entwickeln wie ihre Altersgenossen. Manche Kinder, vor allem Mädchen, entwickeln Essstörungen (Magersucht oder Bulimie), wenn die äußere Erscheinung ihr Denken zu sehr beherrscht. Die meisten Kinder pflegen in dieser Phase vor allem Freundschaften innerhalb des eigenen Geschlechts weiter, die schon länger bestehen. Geht solch eine Freundschaft jedoch plötzlich in die Brüche, leiden sie oft sehr darunter.

Wenn die Eltern Interesse daran zeigen, was ihr Kind unternimmt, und es loben, wenn es etwas gut gemacht hat, fördern sie damit die Leistungsbereitschaft des Kindes. Die Eltern sollen ihr Kind bei Projekten und Aktivitäten unterstützen und ihm helfen, erfolgreich zu sein. Sie sollen sich Zeit nehmen, ihm zuzuhören, ihm helfen, Probleme zu lösen, und ihm beibringen, wie man Konflikte beilegt. Veranstaltungen, an denen ihr Kind teilnimmt, sollen sie möglichst besuchen.

Die Eltern sollen ihre Kinder dabei mitwirken lassen, Familienregeln aufzustellen und Erwartungen, Grenzen und Konsequenzen zu definieren. Die Kinder sollen zunehmend Verantwortung in Form von Arbeit übertragen bekommen und nur begrenzt fernsehen dürfen.

In diesem Alter müssen die Eltern besonders darauf achten, welchen Einfluss die Medien auf das Kind haben. Modezeitschriften können jungen Mädchen ein falsches Bild davon vermitteln, was schön ist. Gewalttätige und unanständige Videospiele können das Kind in eine entsprechende Richtung beeinflussen. Die Eltern müssen mit dem Kind über die Vorstellungen sprechen, die es in den Medien vermittelt bekommt, und ihm erklären, wie es sich wirklich verhält. Sie sollen die Freunde ihres Kindes kennenlernen und es ermuntern, seine Freunde zu sich einzuladen. Sie sollen die Freunde ihres Kindes nicht kritisieren.

In diesem Alter lassen Kinder sich noch eher von den Eltern helfen als später, wenn sie älter sind. Die Eltern sollen Schwierigkeiten als Gelegenheiten betrachten, ihre Hilfe anzubieten. Die Anregungen, wie man Kinder umsorgt und erzieht, können hier sehr hilfreich sein (siehe 4. Kursstunde). Die Eltern sollen ihrem Kind oft zeigen, dass sie es lieb haben, es ermutigen und es loben, wenn es etwas geschafft hat. Sie sollen es zwar anspornen, fleißig zu arbeiten, es aber auch davor bewahren, sich zu viel vorzunehmen. Seine Ziele sollen realistisch und erreichbar sein und den rechtschaffenen Zielen und Erwartungen der Familie nicht zuwiderlaufen.

Die Eltern sollen ihr Kind dazu ermuntern, auch außerhalb des Zuhauses sinnvollen Interessen nachzugehen und Freundschaften zu pflegen. Sie müssen die Privatsphäre des Kindes respektieren und nichts Unrealistisches erwarten, wenn es um das Einhalten von Regeln geht.

Unabhängigkeit und Identitätsfindung (12 bis 18 Jahre)

Mit dem Einsetzen der Pubertät kommt es zu rapiden körperlichen Veränderungen. Sexuelle Empfindungen werden erstmals wahrgenommen. Die Jugendlichen möchten gleichberechtigt, aber auch unabhängig von anderen sein; das gilt besonders für ihre Eltern. Gleichzeitig bedeuten ihnen die Sicherheit und Behaglichkeit, die sie in einer stabilen Familie finden, viel.

Sie merken, wie sie allmählich erwachsen werden und fragen sich, wo und wie sie ihren Platz in der Gesellschaft finden. In dieser Entwicklungsphase müssen sie vor allem zu einer eigenen Identität finden und sich in der Welt der Erwachsenen einordnen.

Mit vierzehn Jahren sind die meisten Jugendlichen im Hinblick auf sich selbst, ihren Körper und ihre Akzeptanz noch sehr unsicher. Oft neigen sie dazu, idealistisch, impulsiv und heftig zu sein, und sie wollen alles sofort. Sie sind häufig egozentrisch, launisch und streitlustig. Sie betrachten ihre Eltern als altmodisch und geraten öfter mit ihnen aneinander.

In diesem Alter sind fast alle Jugendlichen in der Pubertät; bei manchen Mädchen ist sie schon fast abgeschlossen. Gleichaltrige sind für sie der Maßstab dafür, welche Verhaltensweisen „in Ordnung“ sind. Sie vermeiden es zwar, sich in der Öffentlichkeit mit ihren Eltern zu zeigen, aber tief drinnen lieben viele ihre Eltern noch immer und fühlen sich mit ihrer Familie verbunden.

Mit sechzehn Jahren sind die meisten Jugendlichen schon wieder entspannter und fühlen sich wohler, wenn sie ihre Familie um sich haben. Sie sind sich ihrer Identität schon etwas sicherer, aber sind noch dabei, Werte und Ansichten zu überdenken, um sich noch klarer zu werden, wer sie sind. Sie nehmen soziale Normen wahr und lassen sich leicht von Gleichaltrigen beeinflussen. Unter Umständen testen sie noch immer Regeln aus und stellen Autorität infrage.

Manchmal fühlen Eltern sich bedroht, wenn ihre Jugendlichen nach Unabhängigkeit streben. Stattdessen sollen sie sich darum bemühen, dankbar dafür zu sein, dass ihr Teenager den Wunsch hat, eigenständig zu werden. Sie sollen den Jugendlichen nach und nach immer weniger kontrollieren, sodass er sein Leben immer mehr selbst in die Hand nehmen kann. Sie können weiterhin Grenzen setzen und Konsequenzen folgen lassen, wenn er sich inakzeptabel verhält.

Der Jugendliche soll dazu angehalten werden, eigenständig zu denken. Die Eltern sollen sich bemühen, die Eigenschaften des Jugendlichen zu akzeptieren, ohne sich angegriffen zu fühlen oder ihn abzulehnen. Wenn der Jugendliche emotional sehr heftig wird, sollen die Eltern ruhig und gelassen bleiben.

Sie sollen sich Zeit nehmen zuzuhören, wenn er gerade gesprächsbereit ist, und ihm Tipps anbieten, wie er sein Leben besser ordnen kann. Wenn der Jugendliche einmal traurig oder niedergedrückt ist, sollen sie dem Beachtung schenken. Sie sollen zuhören, wenn er über die Herausforderungen sprechen möchte, mit denen er zu kämpfen hat. Außerdem sollen sie dem Jugendlichen zeigen, wie er mit dem Druck von Gleichaltrigen umgehen kann.

Eltern dürfen nicht beleidigt sein, wenn ihr Teenager nicht mit ihnen zusammen sein möchte. Sie sollen allerdings erwarten, dass er sich im Wesentlichen an die Familienregeln hält. Dabei sollen sie weise entscheiden, was sie unbedingt durchsetzen wollen, und gegebenenfalls Konsequenzen folgen lassen.

In dieser Entwicklungsphase wird aus einem unsicheren Heranwachsenden ein selbstbewusster junger Erwachsener, der weiß, wer er ist und was sein Ziel ist, und der sich selbst die Richtung vorgeben kann. Dieses Selbstvertrauen entwickelt ein Teenager normalerweise dadurch, dass er sich angenommen fühlt und feststellt, dass er etwas kann und auf die Zukunft vorbereitet ist.

Jugendliche, die sich für unfähig halten und sich nicht angenommen fühlen, sind oft verwirrt und wissen nicht, wer sie sind, was ihre Aufgabe ist und was sie der Gesellschaft geben können. Möglicherweise meinen sie, ihre Eltern hinderten sie daran, unabhängig zu werden. Sie können respektlos, undankbar, aufsässig und herausfordernd sein. Manche identifizieren sich mit einer Clique, einer Gang oder einem Teenager-Star, weil sie irgendwo dazugehören wollen.

Anzeichen für Entwicklungsstörungen oder sozial-emotionale Probleme

Die nachstehenden Warnsignale können auf Entwicklungsstörungen oder sozial-emotionale Probleme hindeuten. Ein Kind, das eines dieser Symptome aufweist, braucht möglicherweise spezielle Hilfe vom Kinderarzt oder einem professionellen Berater.

mit 2 Jahren

  • kann nicht laufen

  • kann keine Zweiwortsätze bilden oder hat keinen Mindestwortschatz von 15 Wörtern

  • kann offenbar noch nicht mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Kamm, Tasse oder Löffel umgehen

  • kann kein Spielzeug auf Rädern schieben

mit 4 Jahren

  • zeigt ein Symptom aus der vorhergehenden Altersstufe

  • sabbert ständig

  • spricht undeutlich

  • versteht einfache Anweisungen nicht

  • zeigt kaum Interesse an anderen

  • kommt sehr schlecht damit zurecht, seine Mutter nicht um sich zu haben

  • spielt keine Phantasiespiele

mit 6 Jahren

  • zeigt ein Symptom aus einer der vorhergehenden Altersstufen

  • kann nicht Dreirad fahren

  • kann nicht mit der Hand über der Schulter einen Ball werfen

  • weint und klammert sich an die Eltern, wenn sie fortgehen wollen

  • zeigt kein Interesse daran, mit anderen Kindern zusammen zu sein oder mit ihnen zu spielen

  • kann sich nicht beherrschen, wenn es wütend oder aufgeregt ist

  • möchte sich nicht anziehen, zu Bett gehen oder auf die Toilette gehen

  • ist so hyperaktiv, dass es in der Schule nur eingeschränkt lernen und mitarbeiten kann

  • kommt mit anderen Kindern nicht aus, hat keine Freunde

  • nässt oder kotet nachts ein

  • ist stark übergewichtig

  • hat wiederkehrende Alpträume

  • ist übermäßig aggressiv (Streitereien, Raufereien)

  • wirkt überängstlich

mit 8 Jahren

  • zeigt ein Symptom aus einer der vorhergehenden Altersstufen

  • kann die Uhr nicht lesen

  • fehlt häufig in der Schule oder zeigt sehr schlechte schulische Leistungen

  • ist häufig ungehorsam, vorlaut und unkooperativ

altersunabhängig

  • kann nicht altersgemäß sprechen (Wortschatz begrenzt, verwendet falsche Zeitform, kann sich Wörter nicht merken oder keine Sätze bilden, Laute klingen falsch, stottert)

  • kann sich nicht altersgemäß pflegen und selbst versorgen

  • kann keine zwischenmenschlichen Beziehungen eingehen (das, was eine zwischenmenschliche Beziehung ausmacht, fehlt: Blickkontakt, Mimik sowie gemeinsame Interessen)

  • schulischer Erfolg scheint unmöglich

  • kann nicht altersgemäß arbeiten oder sich in der Freizeit beschäftigen

  • ist nur sehr eingeschränkt fähig, Verhaltensweisen zu befolgen, die der Gesundheit und der Sicherheit dienen

  • kann nicht altersentsprechend lesen, schreiben oder rechnen

  • kann nicht altersentsprechend gehen, krabbeln, sitzen, werfen, fangen oder laufen

  • hat Schwierigkeiten, aufmerksam zu sein, scheint nicht zuzuhören, befolgt Anweisungen nur zum Teil, kann sich nicht gut organisieren, ist leicht ablenkbar, vergesslich

  • zappelt herum, windet sich, bleibt in der Schule nicht am Platz, rennt oder klettert exzessiv, redet maßlos, platzt mit Antworten heraus, unterbricht, mischt sich ein

  • verliert die Beherrschung, streitet herum, widersetzt sich Aufforderungen von Erwachsenen

  • ist häufig wütend oder ungehalten, gibt anderen die Schuld für seine Fehler

  • schikaniert oder bedroht andere, gerät in Schlägereien

  • zerstört Sachen, stiehlt, bricht Regeln

  • ist grausam zu Menschen und Tieren

  • zwingt andere zu sexuellen Handlungen

  • isst nicht normal; nimmt nicht zu oder verliert erheblich an Gewicht

  • zeigt Tic-Störungen (plötzliche, schnelle, wiederkehrende Körperbewegungen oder Lautäußerungen)

  • ist beunruhigt oder verängstigt, wenn es nicht zu Hause oder bei den Eltern sein kann oder wenn dies bevorsteht

  • ist depressiv (ist traurig, niedergeschlagen; nichts macht mehr Spaß; zieht sich zurück; fühlt sich schuldig und wertlos; fühlt sich träge; hat Denk- und Konzentrationsprobleme; ist kraftlos; will nicht mehr leben und denkt an Selbstmord)

  • zeigt Angst (wirkt nervös, angespannt, ängstlich, panisch, entsetzt; scheint zu meinen, dass etwas Schreckliches bevorsteht; ist kurzatmig oder klagt über Schmerzen im Brustkorb)

Realistische Erwartungen

Die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf Apostel haben gesagt: „Im vorirdischen Dasein … [nahmen] die Geistsöhne und -töchter … [den Plan Gottes] an; nach diesem Plan konnten sie einen physischen Körper erhalten und die Erfahrungen des irdischen Lebens machen, um sich auf die Vollkommenheit hin weiterzuentwickeln und letztlich als Erben ewigen Lebens ihre göttliche Bestimmung zu verwirklichen.“ 5 Die meisten Menschen durchlaufen bei dieser Weiterentwicklung die Phasen als Säugling, Kind, Jugendlicher und Erwachsener. Eltern können ihren Kindern durch diese Phasen hindurchhelfen und sie so auf die Herausforderungen des Lebens vorbereiten. Dabei sollen sie mit ihren Erwartungen realistisch bleiben und daran denken, dass Kinder sich schrittweise entwickeln. Eltern sollen sich mit ihren Kindern vertraut machen und sie schätzen, weil sie einzigartig sind. Dadurch zeigen sie ihnen auch, dass der himmlische Vater uns alle liebt.

Die Reaktion auf das Verhalten des Kindes

Eltern, die ihre Kinder schätzen und sie gut kennenlernen, neigen eher dazu, angemessen auf ihr Verhalten zu reagieren. Sie sind auch besser in der Lage, ihren Kindern richtige Grundsätze beizubringen.

Kinder verhalten sich nicht selten so, dass es den Eltern missfällt; sie nuckeln zum Beispiel am Daumen, klettern herum oder neigen zum Übertreiben. So etwas tritt manchmal in bestimmten Entwicklungsphasen auf und verliert sich wieder, wenn das Kind reifer wird. Wenn Eltern wissen, dass Kinder wachsen und sich entwickeln, fühlen sie sich nicht schuldig und sind weniger besorgt, wenn solches unerwünschtes Verhalten auftritt. Außerdem können sie dann besser darauf reagieren.

Manchmal verstärken Eltern unerwünschtes Verhalten, indem sie das Kind bestrafen, lächerlich machen oder ausschimpfen. Wenn man so emotional an die Sache herangeht, schenkt man dem Verhalten zu viel Aufmerksamkeit. Das kann dazu führen, dass das Kind sich schlecht fühlt, sich widersetzt oder dieses Verhalten gerade dadurch besonders interessant findet. Wenn man beispielsweise besonders intensiv darauf reagiert, dass ein Kind am Daumen nuckelt, kann das dazu führen, dass es an diesem Verhalten festhält. Wenn Eltern dagegen ganz gelassen damit umgehen oder das unerwünschte Verhalten sogar ignorieren, neigt das Kind eher dazu, es zu lassen, wenn es keinen Zweck mehr erfüllt.

Auch altersgemäßes Verhalten kann, wenn es zu sehr beachtet wird, unnötig verstärkt werden. Das Kind wird ermuntert, es immer wieder zu tun, womöglich gar waghalsig zu werden. Wenn Eltern beispielsweise zu viel Aufhebens um die Kletterversuche eines Kleinkinds machen („Das sieht so süß aus!“) spornen sie es unter Umständen zu Verhaltensweisen an, die für das Kind gefährlich sind.

Teenager halten sich oft aus dem Familienleben heraus und neigen dazu, ihre Eltern zu kritisieren. Wenn Eltern das persönlich nehmen, sich abgelehnt fühlen und versuchen, Kontrolle auszuüben, provoziert dies den Teenager möglicherweise dazu, sich aufzulehnen, was ihn dann daran hindert, sich in dieser Phase weiterzuentwickeln. Wenn die Eltern dagegen locker damit umgehen, ohne sich unnötig zu sorgen, kann der Teenager dieses Verhalten beizeiten hinter sich lassen. Im Allgemeinen nehmen Teenager ihre Eltern wieder besser an, wenn sie aus der Pubertät heraus sind.

Wie man jedes Kind kennenlernen kann

Am besten können Eltern ihren Kindern näherkommen, wenn sie mit ihnen zusammen sind. So lernen sie ihre Vorlieben und Abneigungen, Hoffnungen und Ängste kennen. Die Familie kann täglich zusammen sein, wenn alle gemeinsam beten und in den heiligen Schriften lesen. Man kann gemeinsam arbeiten und dabei ein zwangloses, angenehmes Gespräch führen. Die Eltern können mit allen Kindern gemeinsam zum Beispiel in einen Park gehen, ein Baumhaus bauen, einen Ausflug mit dem Auto unternehmen, wandern, einen Garten anlegen und pflegen oder etwas spielen. Häufig macht das, was am wenigsten kostet, am meisten Freude.

Die Eltern sollen sich aber auch für jedes Kind allein Zeit nehmen und dem jeweiligen Kind oft die Wahl überlassen, was es dabei unternehmen möchte. In den Gesprächen, die sich dabei ergeben, soll es normalerweise um etwas gehen, was dem Kind wichtig ist.

Anmerkungen

  1. Liahona, Januar 2000, Seite 7

  2. Der Stern, April 1978, Seite 28

  3. William Sears und Martha Sears, The Baby Book: Everything You Need to Know about Your Baby from Birth to Age Two, New York, Little, Brown & Company, 1993, Seite 536

  4. Einige Angaben in diesem Abschnitt wurden bearbeitet nach: Erik H. Erikson, Childhood and Society, New York, Norton, 1963, Seite 247–263; Frances L. Ilg und andere, Child Behavior, New York, Harper & Row, 1981, Seite 12–46; Louise Bates Ames und andere, Your Ten-to-Fourteen-Year-Old, New York, Dell, 1988, Seite 21–180, 318–323

  5. „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Liahona, Oktober 2004, Seite 49