2016
Wie Sie Ihr Leben finden
März 2016


Wie man zum Leben findet

Nach der Ansprache „Sein Leben retten“, die am 14. September 2014 anlässlich einer Andacht des Bildungswesens der Kirche an der Brigham-Young-Universität gehalten wurde. Den englischen Text finden Sie in voller Länge unter devotionals.lds.org.

Als er sein Leben gab, rettete Christus nicht nur sich selbst, sondern uns allen das Leben. Er hat es uns ermöglicht, dass wir unser irdisches Leben, das andernfalls im Grunde nichtig gewesen wäre, gegen ewiges Leben eintauschen können.

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crucifixion

Ausschnitt aus der Radierung Die drei Kreuze, ZWEITES STADIUM, von Rembrandt van Rijn, aus The Pierpont Morgan Library/Art Resource, New York; goldener Hintergrund © iStock/Thinkstock

Als Jesus mit seinen Aposteln in Cäsarea Philippi zusammen war, fragte er sie: „Für wen haltet ihr mich?“ (Matthäus 16:15.) Ehrfürchtig und entschieden erwiderte Petrus: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Matthäus 16:16; siehe auch Markus 8:29; Lukas 9:20.)

Es geht mir durch und durch, wenn ich diese Worte lese und sie ausspreche. Kurz nach diesem heiligen Moment sprach Jesus mit den Aposteln über seinen bevorstehenden Tod und seine Auferstehung, und Petrus machte ihm Vorwürfe. Dies brachte Petrus den scharfen Tadel ein, er sei nicht mit Gott im Einklang und habe „nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Matthäus 16:21-23; siehe auch Markus 8:33). Doch dann erwies Jesus ihm, nachdem er ihn zurechtgewiesen hatte, „vermehrte Liebe“ (Lehre und Bündnisse 121:43) und ermahnte Petrus und dessen Mitbrüder liebevoll, dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen und ihr Leben verlieren sollten und dadurch ein erfülltes Leben, ja, ewiges Leben gewinnen würden. Er selbst gab dafür das vollkommene Beispiel (siehe Matthäus 16:24,25).

Ich möchte über diese scheinbar widersprüchliche Aussage des Herrn sprechen: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Matthäus 10:39; siehe auch Matthäus 10:32-41; 16:24-28; Markus 8:34-38; Lukas 9:23-26; 17:33.) Hierin liegt eine machtvolle Lehre von großer Tragweite, die wir verstehen und anwenden müssen.

Ein kluger Professor hat einmal erklärt: „Da der Himmel hoch über der Erde ist, ist Gottes Werk in deinem Leben größer als die Geschichte, die dein Leben deinem Wunsche nach erzählen soll. Sein Leben ist größer als deine Pläne, Ziele oder Ängste. Wenn du dein Leben retten willst, musst du deine Geschichten beiseitelegen und ihm dein Leben, Minute für Minute, Tag für Tag, zurückgeben.“1

Je mehr ich darüber nachdenke, umso erstaunter bin ich, wie konsequent Jesus sein Leben dem Vater gab, wie vollkommen er sein Leben im Willen des Vaters verlor – im Leben wie im Tod. Das ist genau das Gegenteil von der Haltung und der Herangehensweise des Satans, die in der heutigen egozentrischen Welt so weit verbreitet ist.

Beim Rat im Himmel bot sich Jesus freiwillig an, im göttlichen Plan des Vaters die Rolle des Erlösers zu übernehmen, und sagte: „Vater, dein Wille geschehe, und die Herrlichkeit sei dein immerdar.“ (Mose 4:2; Hervorhebung hinzugefügt.) Luzifer hingegen erklärte: „Hier bin ich, sende mich; ich will dein Sohn sein, und ich will die ganze Menschheit erlösen, dass auch nicht eine Seele verlorengeht, und gewiss werde ich es tun; darum gib mir deine Ehre.“ (Mose 4:1; Hervorhebung hinzugefügt.)

Das Gebot Christi, ihm zu folgen, ist ein Gebot, mit dem das satanische Modell erneut verworfen wird und wir aufgefordert werden, unser Leben zu verlieren, zugunsten des wirklichen Lebens, des wahrhaften Lebens, des Lebens, das uns für das celestiale Reich bereitmacht und das Gott einem jeden von uns wünscht. Mit einem solchen Leben sind wir für alle, mit denen wir in Berührung kommen, ein Segen, und es macht uns zu Heiligen. Mit unserer jetzigen begrenzten Sichtweise können wir ein solches Leben gar nicht begreifen. Es ist wahrhaft etwas, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Korinther 2:9).

Ich wünschte, es wäre mehr vom Wortwechsel zwischen Jesus und seinen Jüngern erhalten geblieben. Es wäre sicher hilfreich, wenn wir etwas mehr darüber wüssten, was es ganz praktisch bedeutet, sein Leben um Jesu willen zu verlieren und es dadurch zu gewinnen. Doch als ich darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass die Äußerungen des Heilands unmittelbar vor und nach dieser Aussage wichtige Anhaltspunkte geben. Schauen wir uns aus diesem Zusammenhang drei dieser Äußerungen an.

Nehmen Sie täglich Ihr Kreuz auf sich

Betrachten wir zunächst die Worte, die der Herr sprach, ehe er sagte: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren.“ (Matthäus 16:25.) Wie es in allen synoptischen Evangelien niedergelegt ist, sagte Jesus: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Matthäus 16:24.) Lukas fügt noch das Wort täglich hinzu: „Der … nehme täglich sein Kreuz auf sich.“ (Lukas 9:23.) In der Joseph-Smith-Übersetzung des MatthäusEvangeliums wird die Aussage des Heilands noch um die Erläuterung erweitert, was es bedeutet, sein Kreuz auf sich zu nehmen: „Und nun, dass ein Mensch sein Kreuz auf sich nimmt, heißt, dass er alles Ungöttliche verleugnet, und jede weltliche Begierde, und meine Gebote hält.“ (Schriftenführer, JSÜ, Matthäus 16:26.)

Das stimmt mit der Aussage des Jakobus überein: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: … sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren.“ (Jakobus 1:27.) Sein Kreuz auf sich zu nehmen bedeutet, sein tägliches Leben so zu führen, dass man alles Unreine meidet und zugleich bewusst die beiden wichtigsten Gebote hält, an denen alle anderen Gebote hängen, nämlich Gott und seinen Nächsten zu lieben (siehe Matthäus 22:37-40). Wenn wir unser Leben zugunsten des herrlicheren Lebens verlieren wollen, das der Herr für uns im Sinn hat, besteht ein Teilbereich also darin, dass wir sein Kreuz Tag für Tag auf uns nehmen.

Bekennen Sie sich vor anderen zu Christus

Eine zweite Begleiterklärung gibt einen weiteren Hinweis: Wir gewinnen unser Leben, wenn wir es um des Erretters und des Evangeliums willen verlieren, wozu auch die Bereitschaft gehört, unsere Nachfolge offen und überall zu zeigen. „Denn wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er mit den heiligen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommt.“ (Markus 8:38; siehe auch Lukas 9:26.)

An einer anderen Stelle in Matthäus finden wir eine ähnliche Aussage:

„Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.

Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ (Matthäus 10:32,33.)

Eine offensichtliche und eher ernüchternde Bedeutung davon, durch das Bekenntnis zu Christus sein Leben zu verlieren, besteht im buchstäblichen Verlust des Lebens, weil man seinen Glauben an ihn aufrechterhält und verteidigt. Wir haben uns schon daran gewöhnt, diese extreme Forderung für etwas zu halten, was uns in der Geschichte begegnet, wo wir von Märtyrern aus der Vergangenheit lesen, zu denen auch viele der damaligen Apostel gehörten. Heute müssen wir jedoch erkennen, dass die Geschichte bis in die Gegenwart vordringt.2

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, doch sollte irgendjemand von uns etwas so Drastisches erleben, wie sein Leben buchstäblich für die Sache des Meisters zu verlieren, so hoffe ich, dass wir dann Mut und Treue zeigen.

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Peter and John at the temple

Petrus und Johannes an der Pforte des Tempels, Radierung von Rembrandt van Rijn

Die häufigere (und mitunter schwierigere) Anwendung dessen, was der Herr lehrt, hat jedoch damit zu tun, wie wir unser tägliches Leben führen. Es geht um das, was wir sagen, und um das Beispiel, das wir geben. Unser Leben soll ein Bekenntnis zu Christus sein und vereint mit unseren Worten unseren Glauben und unsere Hingabe an ihn bezeugen. Dieses Zeugnis muss standhaft verteidigt werden angesichts von Spott, Diskriminierung oder Diffamierung seitens derjenigen, die sich dem Herrn in „dieser treulosen und sündigen Generation“ (Markus 8:38) widersetzen.

Bei einer anderen Gelegenheit machte der Herr diese bemerkenswerte Äußerung über unsere Treue ihm gegenüber:

„Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter;

und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.

Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.“ (Matthäus 10:34-38.)

Dass Jesus sagt, er sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu den Schriftstellen zu sein, in denen Christus als der „Fürst des Friedens“ (Jesaja 9:5) bezeichnet wird oder seine Geburt mit den Worten verkündet wird: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lukas 2:14), oder auch zu anderen bekannten Schriftstellen wie: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ (Johannes 14:27.)

„Es stimmt schon, dass Christus gekommen ist, um Frieden zu bringen – Frieden zwischen dem Gläubigen und Gott und Frieden zwischen den Menschen. Doch das unvermeidliche Resultat, das aus dem Kommen Christi rührt, ist Widerstreit – zwischen Christus und dem Antichristen, zwischen Licht und Finsternis, zwischen den Kindern Christi und den Kindern des Teufels. Dieser Widerstreit kann sogar zwischen Mitgliedern derselben Familie auftreten.“3

Bestimmt haben einige von Ihnen durch Vater, Mutter oder Geschwister Ablehnung erfahren oder sind von ihnen verstoßen worden, als Sie das Evangelium Jesu Christi angenommen haben und in seinen Bund eingetreten sind. Auf die eine oder andere Weise hat Ihnen Ihre große Liebe zu Christus abverlangt, Beziehungen zu opfern, die Ihnen viel bedeutet haben, und Sie haben viele Tränen vergossen. Doch mit unverminderter Liebe behaupten Sie sich standhaft unter diesem Kreuz und zeigen, dass Sie sich des Sohnes Gottes nicht schämen.

Der Preis der Nachfolge

Vor einigen Jahren schenkte ein Mitglied der Kirche einem Freund unter den Amischen in Ohio ein Buch Mormon. Der Freund begann, das Buch zu lesen, und konnte es nicht mehr aus der Hand legen. Er und seine Frau ließen sich taufen, und binnen sieben Monaten waren zwei weitere Paare von den Amischen bekehrte und getaufte Mitglieder der Kirche. Ihre Kinder ließen sich einige Monate später taufen.

Die drei Familien beschlossen, in ihrer Gemeinschaft zu bleiben und ihr Leben weiterhin auf die Weise der Amischen zu führen, obgleich sie deren Glauben entsagt hatten. Von ihren Nachbarn jedoch, mit denen sie eng verbunden waren, wurde daraufhin die Maßnahme der sogenannten „Meidung“ gegen sie verhängt. Meidung bedeutet, dass niemand aus der Gemeinschaft der Amischen mit einem redet, arbeitet, Geschäfte tätigt oder sonst wie Umgang pflegt. Das gilt nicht nur für Freunde, sondern auch für Angehörige.

Anfangs fühlten sich die Heiligen unter den Amischen sehr einsam und isoliert. Selbst ihre Kinder wurden gemieden und durften die Schulklassen der Gemeinschaft nicht mehr besuchen. Die Kinder ertragen es nach wie vor, von Großeltern, Cousins, Cousinen und Nachbarn gemieden zu werden. Sogar einige der älteren Kinder, die das Evangelium nicht angenommen haben, sprechen nicht mit ihren Eltern und erkennen sie nicht einmal mehr als ihre Eltern an. Diese Familien müssen immer noch kämpfen, um sich von den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Meidung zu erholen, doch es geht voran.

Ihr Glaube bleibt fest. Das Unglück und der Widerstand, die sie durch die Meidung erleben, haben ihnen geholfen, standhaft und unverrückbar zu sein. Ein Jahr nach ihrer Taufe wurden die Mitglieder dieser Familien im Tempel aneinander gesiegelt. Noch immer besuchen sie treu jede Woche den Tempel. Sie haben Kraft daraus geschöpft, heilige Handlungen zu empfangen und Bündnisse zu schließen und zu halten. Sie sind in ihrer Kirchengruppe allesamt aktiv und suchen weiterhin nach Möglichkeiten, wie sie ihre Angehörigen und ihre Gemeinschaft durch freundliches und hilfsbereites Verhalten am Licht des Evangeliums und an der Kenntnis davon teilhaben lassen können.

Ja, der Preis dafür, sich der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage anzuschließen, kann sehr hoch sein, doch die Ermahnung, Christus den Vorrang vor allen anderen zu geben, selbst unseren unmittelbaren Angehörigen, gilt auch denen, die vielleicht schon im Bund geboren wurden. Viele von uns sind Mitglieder der Kirche geworden, ohne Widerstände überwinden zu müssen, vielleicht als Kind. Die Herausforderung, der wir uns vielleicht stellen müssen, besteht darin, dem Heiland und seiner Kirche treu zu bleiben, auch wenn wir Eltern, angeheiratete Verwandte, Geschwister oder sogar Kinder haben, deren Verhalten, Überzeugung oder Entscheidungen es uns unmöglich machen, sowohl den Herrn als auch sie zu unterstützen.

Es ist keine Frage der Liebe. Wir können und müssen einander so lieben, wie Jesus uns liebt. Er sagte: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Johannes 13:35.) Obwohl die Liebe also in der Familie bestehen bleibt, werden Beziehungen mitunter erschüttert. Selbst Unterstützung und Toleranz mögen zuweilen, je nach den Umständen, zugunsten einer höheren Liebe ausgesetzt werden (siehe Matthäus 10:37).

Denen, die wir lieben, können wir also am besten helfen und unsere Liebe erweisen, indem wir den Heiland weiterhin an die erste Stelle setzen. Wenn wir uns aus Mitleid gegenüber lieben Menschen, die leiden oder andere Probleme haben, vom Herrn lösen, verlieren wir das Mittel, wodurch wir ihnen vielleicht hätten helfen können. Bleiben wir jedoch fest im Glauben an Christus verwurzelt, sind wir in der Lage, sowohl göttliche Hilfe zu empfangen als auch anzubieten.

Wenn dann der Moment kommt, da sich ein lieber Angehöriger sehnlichst der einzig wahren und beständigen Quelle, die Hilfe verheißt, zuwenden möchte, weiß er, wem er als Führer und Begleiter vertrauen kann. Bis es so weit ist, können wir – mit der Gabe des Heiligen Geistes, der uns führt – beständig dienen, um den Schmerz, den schlechte Entscheidungen mit sich gebracht haben, zu lindern und Wunden zu verbinden, soweit man uns dies gestattet. Andernfalls tun wir weder denen, die wir lieben, noch uns selbst etwas Gutes.

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Jesus healing the sick

Ausschnitt aus dem Holzstich Jesus heilt die Kranken von Paul Gustave Doré

Entsagen Sie der Welt

Der dritte Aspekt, wie wir unser Leben um Jesu willen verlieren, ist in diesen Worten des Herrn zu finden: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“ (Matthäus 16:26.) In der Joseph-Smith-Übersetzung heißt es: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und doch nicht den empfängt, den Gott ordiniert hat, und er seine Seele verliert und selbst verworfen wird?“ (Joseph-Smith-Übertragung von Lukas 9:25 [im Anhang der englischen Ausgabe der heiligen Schriften].)

Wenn man sagt, es entspreche in der heutigen Welt nicht gerade der Kultur, dass man der Welt entsagt und lieber denjenigen empfängt, „den Gott ordiniert hat“, ist das gewiss eine Untertreibung. Die Prioritäten und Interessen, die oftmals um uns herum (und mitunter in uns) zum Vorschein kommen, sind ungeheuer selbstbezogen: der Hunger nach Anerkennung, die beharrliche Forderung, die eigenen Rechte müssten respektiert werden, das verzehrende Verlangen nach Geld, Gütern und Macht, die Ansicht, man habe Anspruch auf ein komfortables, vergnügliches Leben, das Ziel, die Verantwortung herunterzuschrauben und jegliches eigene Opfer zum Wohle anderer zu vermeiden, und so weiter.

Damit meine ich nicht, dass wir uns nicht bemühen sollten, Erfolg zu haben oder gar bei etwas zu glänzen, was aller Anstrengung wert ist, wozu auch eine Ausbildung und ein angesehener Beruf gehören. Solche Leistungen sind sicherlich lobenswert. Doch wenn wir unser Leben retten wollen, müssen wir stets daran denken, dass solche Errungenschaften nicht das Ziel an sich sind, sondern Mittel zu einem höheren Zweck. Mit unserem Glauben an Christus dürfen wir politische, wirtschaftliche, akademische und sonstige Erfolge dieser Art nicht als etwas sehen, worüber wir uns definieren, sondern müssen es als etwas betrachten, was es uns ermöglicht, Gott und unseren Mitmenschen zu dienen – angefangen bei uns zu Hause bis so weit hinaus in die Welt, wie es uns möglich ist.

Die persönliche Entwicklung ist in dem Maße von Wert, wie sie zur Entwicklung eines christlichen Charakters beiträgt. Wenn wir Erfolg messen, erkennen wir die tiefe Wahrheit, die allem anderen zugrunde liegt: dass unser Leben Gott, unserem Vater im Himmel, und Jesus Christus, unserem Erlöser, gehört. Erfolg bedeutet, in Einklang mit ihrem Willen zu leben.

Im Gegensatz zu einem narzisstischen Leben können wir den vortrefflicheren Weg wählen, den Präsident Spencer W. Kimball (1895–1985) mit schlichten Worten dargelegt hat:

„Wenn wir im Dienste unserer Mitmenschen stehen, helfen unsere Taten nicht nur anderen, sondern wir betrachten auch unsere eigenen Probleme unter neuen Gesichtspunkten. Je mehr wir uns anderer annehmen, desto weniger Zeit haben wir für unsere eigenen Belange! Das Wunder des Dienstes am Nächsten geht mit der Verheißung Jesu einher, dass wir uns finden, indem wir uns selbst verlieren! [Siehe Matthäus 10:39.]

Wir ‚finden‘ uns selbst nicht nur in dem Sinne, dass wir Gottes Führung in unserem Leben anerkennen, sondern auch dadurch, dass unsere Seele in dem Maße wächst, wie wir auf geeignetem Wege unseren Mitmenschen dienen. … Wir werden greifbarer, wenn wir anderen dienen – ja, es ist leichter, uns selbst zu ‚finden‘, weil es viel mehr in uns zu finden gibt!“4

Verlieren Sie Ihr Leben im Dienst des Herrn

Ich habe vor kurzem von einer jungen Schwester erfahren, die sich entschieden hatte, eine Vollzeitmission zu erfüllen. Sie hatte die Fähigkeit entwickelt, auf Menschen mit nahezu jeder religiösen oder politischen Überzeugung und aus jeder Nationalität zuzugehen und schnell Beziehungen aufzubauen, und sie machte sich Sorgen, dass dieses außergewöhnliche Talent leiden könnte, wenn sie als Missionarin tagaus, tagein ein Namensschild trug. Sie war gerade wenige Wochen auf Mission, als sie ihrer Familie ein einfaches, doch prägendes Erlebnis in einem Brief schilderte:

„Sister Lee und ich haben in die arthritischen Hände einer älteren Dame Salbe einmassiert – jede von uns auf einer Seite –, während wir in ihrem Wohnzimmer saßen. Sie wollte nicht hören, was wir zu sagen hatten, doch sie ließ uns singen, und das gefiel ihr sehr. Danke, schwarzes Missionarsnamensschild, dass ich durch dich solch innige Erlebnisse mit vollkommen fremden Menschen haben kann.“

Durch das, was er durchlitt, lernte der Prophet Joseph Smith, sein Leben im Dienste seines Meisters und Freundes zu verlieren. Er sagte einmal: „Ich [habe] mir dies zur Regel gemacht: Wenn der Herr gebietet, dann tu es.“5

Wir könnten wohl alle froh sein, wenn wir an Joseph Smiths Maß an Treue heranreichen könnten. Dennoch war er einmal gezwungen, monatelang im Gefängnis zu Liberty in Missouri zu schmachten. Er hatte körperlich, aber vielleicht noch mehr seelisch und geistig zu leiden, da er nicht imstande war, seiner lieben Frau, seinen Kindern und den Heiligen zu helfen, die misshandelt und verfolgt wurden. Aufgrund seiner Offenbarungen und unter seiner Führung waren sie nach Missouri gekommen, um Zion zu errichten, und jetzt wurden sie dort überall mitten im Winter aus ihren Häusern vertrieben.

Trotz alldem schrieb er unter den Bedingungen in jenem Gefängnis einen inspirierten Brief an die Kirche, in wunderschöner, erhebender Prosa, wovon Teile jetzt Abschnitt 121, 122 und 123 des Buches Lehre und Bündnisse bilden. Zum Schluss heißt es da: „Lasst uns frohgemut alles tun, was in unserer Macht liegt, und dann mögen wir mit größter Zuversicht ruhig stehen, um die Errettung Gottes zu sehen, und dass sein Arm offenbar werde.“ (LuB 123:17.)

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Jesus praying in Gethsemane

Ausschnitt aus dem Gemälde Jesus betet im Garten von Gustave Doré

Natürlich ist das überragende Beispiel dafür, wie man sein Leben rettet, indem man es verliert, dies: „Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.“ (Matthäus 26:42.) Als er sein Leben gab, rettete Christus nicht nur sich selbst, sondern uns allen das Leben. Er hat es uns ermöglicht, dass wir unser irdisches Leben, das andernfalls im Grunde nichtig gewesen wäre, gegen ewiges Leben eintauschen können.

Das Leben des Erlösers stand unter dem Motto: Ich tue immer das, was dem Vater gefällt (siehe Johannes 8:29). Ich bete darum, dass auch Sie dies zu Ihrem Lebensmotto machen. Wenn Sie das tun, retten Sie Ihr Leben.

Anmerkungen

  1. Adam S. Miller, Letters to a Young Mormon, 2014, Seite 17f.

  2. Siehe Martin Chulov, „Iraqʼs largest Christian town abandoned as Isis advance continues“, The Guardian, 7. August 2014; theguardian.com

  3. Kenneth Barker, Hg., The NIV Study Bible, Sonderausgabe zum 10. Jubiläumsjahr, 1995, Seite 1453

  4. Lehren der Präsidenten der Kirche: Spencer W. Kimball, Seite 101

  5. Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph Smith, Seite 176