Generalkonferenz
Vertrauen wir auf den Herrn
Frühjahrs-Generalkonferenz 2024


Vertrauen wir auf den Herrn

Unsere Beziehung zu Gott festigt sich nur in dem Maße, in dem wir bereit sind, ihm zu vertrauen

In unserer Familie spielen wir manchmal ein Spiel, das wir „Die verrückte Vertrauensübung“ nennen. Vielleicht haben Sie es ja auch schon gespielt: Zwei Personen stehen etwa einen Meter voneinander entfernt, wobei eine der anderen den Rücken zukehrt. Auf Zuruf der hinteren Person lässt sich der Vordermann rückwärts in die schon ausgebreiteten Arme des Betreffenden fallen.

Vertrauen ist die Grundlage aller Beziehungen. Bevor man eine Beziehung eingeht, fragt man sich: „Kann ich dem anderen vertrauen?“ Eine Beziehung entsteht nur dann, wenn die Beteiligten bereit sind, einander zu vertrauen. Man kann von keiner Beziehung sprechen, wenn der eine absolutes Vertrauen hat, der andere aber nicht.

Jeder von uns ist ein geliebter Geistsohn oder eine geliebte Geisttochter eines liebevollen Vaters im Himmel.1 Zwar bietet diese geistige Abstammungslinie eine gute Grundlage, doch ergibt sich daraus noch keine echte Beziehung zu Gott. Eine Beziehung können wir nur aufbauen, wenn wir uns dazu entscheiden, ihm zu vertrauen.

Der Vater im Himmel möchte zu jedem seiner Geistkinder eine enge, persönliche Beziehung aufbauen.2 Diesen Wunsch hat auch Jesus zum Ausdruck gebracht, als er betete: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“3 Gott wünscht sich eine Beziehung zu jedem Geistkind, die so innig und persönlich ist, dass er es an allem, was er hat, und allem, was er ist, teilhaben lassen kann.4 Solch eine tiefe, dauerhafte Beziehung kann nur dann entstehen, wenn sie auf vollkommenem, restlosem Vertrauen beruht.

Der Vater im Himmel seinerseits hat von Anbeginn an klar kundgetan, dass er in das göttliche Potenzial jedes seiner Kinder absolutes Vertrauen hat. Vertrauen ist die Grundlage des Planes für unser Wachstum und unseren Fortschritt, den er uns vorgestellt hat, bevor wir zur Erde kamen: Er werde uns ewige Gesetze lehren, eine Erde erschaffen, uns einen sterblichen Körper geben, uns die Gabe der Entscheidungsfreiheit gewähren und es ermöglichen, dass wir lernen und wachsen können, indem wir selbst Entscheidungen treffen. Er möchte, dass wir uns dafür entscheiden, seine Gesetze zu befolgen, und dass wir zurückkehren, um uns bei ihm und seinem Sohn an ewigem Leben zu erfreuen.

Da er wusste, dass wir nicht immer gute Entscheidungen treffen würden, bereitete er uns auch einen Ausweg aus den Folgen schlechter Entscheidungen. Er sorgte für einen Erretter – seinen Sohn Jesus Christus –, der für unsere Sünden sühnen und uns wieder rein machen sollte, sofern wir umkehren.5 Er bittet uns, von der kostbaren Gabe der Umkehr immer wieder Gebrauch zu machen.6

Alle Eltern wissen, wie schwierig es ist, ein Kind vertrauensvoll eigene Entscheidungen treffen zu lassen, besonders wenn sie wissen, dass ihr Kind vermutlich Fehler machen und deshalb Leid erfahren wird. Trotzdem gesteht der Vater im Himmel es uns zu, jene Entscheidungen zu treffen, die uns dabei helfen, unser göttliches Potenzial zu erreichen! Wie Elder Dale G. Renlund erklärt hat, hat Gott „sich nicht zum Ziel gesetzt, dass seine Kinder tun, was richtig ist, sondern, dass sich seine Kinder entscheiden, das Richtige zu tun, und schließlich wie er werden“7.

Trotz des Vertrauens, das Gott in uns hat, festigt sich unsere Beziehung zu ihm nur in dem Maße, in dem wir bereit sind, ihm zu vertrauen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir in einer gefallenen Welt leben und alle schon einmal infolge von Unehrlichkeit, Manipulation, Zwang oder sonstigen Umständen einen Vertrauensbruch erlitten haben. Nach einem Vertrauensbruch fällt es uns wahrscheinlich schwer, neues Vertrauen zu fassen. Ein solch negatives Erlebnis mit einem unvollkommenen Menschen kann sich sogar darauf auswirken, wie bereitwillig wir dem vollkommenen Vater im Himmel vertrauen.

Vor mehreren Jahren bekundeten zwei meiner Freunde, Leonid und Valentina, Interesse daran, sich der Kirche anzuschließen. Als Leonid sich mit dem Evangelium befasste, fiel ihm das Beten schwer. Er hatte in seiner Vergangenheit darunter leiden müssen, dass Vorgesetzte ihn manipuliert und überwacht hatten, und war daher Autoritätspersonen gegenüber misstrauisch geworden. Wegen dieser Erfahrungen konnte er dem Vater im Himmel gegenüber nicht so gut sein Herz öffnen und ihm sagen, wie ihm im Innersten zumute war. Im Lauf der Zeit und durch weiteres Studium verstand Leonid das Wesen Gottes besser und konnte Gottes Liebe verspüren. Schließlich wurde es für Leonid ganz selbstverständlich, durch das Gebet Dankbarkeit und die Liebe, die er für Gott empfand, zum Ausdruck zu bringen. Sein wachsendes Gottvertrauen führte zu guter Letzt dazu, dass er und Valentina heilige Bündnisse schlossen, um ihre Beziehung zu Gott und zueinander zu festigen.

Wenn ein erlittener Vertrauensverlust Sie davon abhält, Gott zu vertrauen, dann folgen Sie bitte Leonids Beispiel. Lernen Sie geduldig weiter, um mehr über den Vater im Himmel, sein Wesen, seine Eigenschaften und seine Absichten zu wissen. Achten Sie auf Erlebnisse, wo Sie seine Liebe und Macht verspüren, und schreiben Sie diese nieder. Unser lebender Prophet, Präsident Russell M. Nelson, hat erklärt: Je mehr wir über Gott lernen, desto leichter fällt es uns, ihm zu vertrauen.8

Manchmal lernen wir Gottvertrauen am besten dadurch, dass wir ihm einfach vertrauen. Wie bei der „verrückten Vertrauensübung“ müssen wir manchmal einfach nur bereit sein, uns nach hinten fallen und von ihm auffangen zu lassen. Unser Erdenleben ist eine Prüfung. Schwierigkeiten, die uns über unsere Kräfte hinaus fordern, sind an der Tagesordnung. Wenn unser eigenes Wissen und Verständnis nicht ausreichen, schauen wir uns da natürlich nach hilfreichen Quellen um. In einer von Informationen überfüllten Welt besteht keinerlei Mangel an Quellen, die ihre Lösung für unsere Schwierigkeiten anpreisen. Doch der schlichte, altbewährte Rat im Buch Sprichwörter ist immer noch der beste: „Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn.“9 Wir zeigen unser Gottvertrauen, indem wir uns bei Schwierigkeiten zuerst ihm zuwenden.

Nach Abschluss meines Jurastudiums in Utah hatten wir als Familie die wichtige Entscheidung zu treffen, wo wir arbeiten und wohnen wollten. Nachdem wir uns miteinander und mit dem Herrn beraten hatten, hatten wir den Eindruck, unsere Familie sollte in den Osten der Vereinigten Staaten ziehen, weit weg von Eltern und Geschwistern. Anfangs lief alles gut und wir empfanden dies als Bestätigung unserer Entscheidung. Doch dann änderte sich alles. Bei der Anwaltskanzlei wurden Stellen abgebaut und es sah ganz danach aus, dass ich ohne Arbeit und Versicherung dastehen würde – und das, als auch unsere Tochter Dora geboren wurde, die ernsthafte gesundheitliche Probleme hatte und langfristig auf Hilfe angewiesen sein würde. Als ich vor diesen Herausforderungen stand, trug man mir eine Berufung an, die einen erheblichen Zeitaufwand und viel Engagement bedeutete.

Noch nie hatte ich vor so einer großen Hürde gestanden und ich fühlte mich dem allen nicht gewachsen. Ich fing an, unsere seinerzeit getroffene Entscheidung und die damit einhergehende Bestätigung anzuzweifeln. Wir hatten doch auf den Herrn vertraut! Hätte da nicht alles wie am Schnürchen laufen müssen? Ich hatte mich nach hinten fallen lassen, und jetzt schien es, als fange niemand mich auf.

Eines Tages kamen mir deutlich die Worte „Frag nicht warum; frag, was du nach meinem Willen daraus lernen sollst“ in Herz und Sinn. Das verwirrte mich noch mehr. Just in dem Moment, als ich meine frühere Entscheidung in Frage stellte, bat mich Gott, ihm noch mehr zu vertrauen. Das war ein entscheidender Punkt in meinem Leben. In ebendiesem Augenblick wurde mir klar: Am besten lernt man Gottvertrauen dadurch, dass man ihm einfach vertraut. In den darauffolgenden Wochen sah ich erstaunt zu, wie der Herr seinen Plan, uns als Familie zu segnen, auf wundersame Weise enthüllte.

Gute Lehrer und Trainer wissen, dass intellektuelles Wachstum und körperliche Kraft nur erlangt werden, wenn Verstand und Muskeln bemüht werden. In ähnlicher Weise ermuntert uns Gott zu Wachstum und dabei auf seine geistige Anleitung durch Erfahrungen, die unser Innerstes auf die Probe stellen, zu vertrauen. Deshalb können wir auch sicher sein: Ganz gleich, wie viel Gottvertrauen wir in der Vergangenheit unter Beweis gestellt haben, vor uns liegt eine weitere Erfahrung, die uns noch mehr Vertrauen abverlangt. Gott geht es um unser Wachstum und unseren Fortschritt. Er ist der größte Lehrer, der vollkommene Trainer, der uns stets manches abverlangt und uns dadurch hilft, unser göttliches Potenzial besser auszuschöpfen. Dazu gehört, dass er uns auch in Zukunft stets auffordern wird, ihm noch ein kleines bisschen mehr zu vertrauen.

Im Buch Mormon wird das Muster dargelegt, wie Gott uns Anstrengung abverlangt, sodass er eine starke Beziehung zu uns aufbauen kann. Im Lehrplan Komm und folge mir nach! haben wir uns unlängst damit befasst, wie Nephis Gottvertrauen auf die Probe gestellt wurde, als ihm und seinen Brüdern geboten wurde, nach Jerusalem zurückzukehren und die Messingplatten zu holen. Nachdem ihre ersten Versuche gescheitert waren, gaben Nephis Brüder auf und wollten lieber ohne die Platten zurückkehren. Aber Nephi beschloss, vollkommen auf den Herrn zu vertrauen, und konnte die Platten tatsächlich erlangen.10 Dieses Erlebnis stärkte Nephis Gottvertrauen vermutlich, als sein Bogen zerbrach und die Familie Gefahr lief, in der Wildnis zu verhungern. Wieder beschloss Nephi, auf Gott zu vertrauen, und die Familie wurde gerettet.11 Diese aufeinanderfolgenden Erlebnisse schenkten Nephi noch größeres Gottvertrauen für die gewaltige, ihm noch mehr Vertrauen abverlangende Aufgabe, vor die er schon bald gestellt werden sollte, nämlich ein Schiff zu bauen.12

Im Zuge dieser Erlebnisse stärkte Nephi seine Beziehung zu Gott, indem er konsequent und unablässig auf ihn vertraute. Nach dem gleichen Muster geht Gott bei uns vor. Er bittet uns ganz persönlich, unser Vertrauen in ihn zu stärken und zu vertiefen.13 Jedes Mal, wenn wir so eine Bitte ernst nehmen und ihr nachkommen, wächst unser Gottvertrauen. Ignorieren wir eine Bitte oder weisen wir sie zurück, stockt unser Fortschritt, bis wir bereit sind, einer neuen Bitte nachzukommen.

Zum Glück können wir uns unabhängig davon, ob und wie sehr wir Gott in der Vergangenheit vertraut haben, dafür entscheiden, Gott heute und an jedem kommenden Tag zu vertrauen. Ich verheiße: Immer wenn wir dies tun, ist Gott da und fängt uns auf, und unsere Vertrauensbeziehung wird beständig stärker bis zu jenem Tag, da wir mit ihm und seinem Sohn eins werden. Wie Nephi können wir dann ausrufen: „O Herr, ich habe auf dich vertraut, und ich werde auf dich vertrauen immerdar.“14 Im Namen Jesu Christi. Amen.