2022
Seelische Widerstandskraft entwickeln
Januar 2022


Junge Erwachsene

Seelische Widerstandskraft entwickeln

Die Verfasserin lebt in Sevilla.

Bis zu meiner Rückkehr von Mission hatte ich noch nie Angstzustände erlebt, daher wusste ich nicht so recht, wie ich damit umgehen sollte.

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smiling young woman

Mit einem Modell erstelltes Foto

Für mich war alles nach Plan verlaufen.

Ich befand mich kurz vor dem Abschluss meiner Mission. Im Verlauf der letzten 18 Monate war mein Zeugnis gestärkt worden, und den Erlösungsplan verstand ich nun viel besser. Nie zuvor hatte ich mich meinem Erretter und meinem Vater im Himmel so nahe gefühlt. Das Leben schien einfach herrlich zu sein.

Natürlich wurden meine Familie und ich auch geprüft, aber im Großen und Ganzen war ich gespannt darauf, was jetzt kommen würde, und hatte schon viele Pläne. Doch dann kam ich nach Hause, und alles, was damit verbunden war, war ein ziemlicher Schock. Es fiel mir schwer, mich wieder an den Alltag zu gewöhnen. Ich machte mir unaufhörlich Sorgen, ob ich wohl gute Entscheidungen treffe und vollkommen gehorsam sei. Ich setzte mich selbst extrem unter Druck, das hohe geistige Niveau zu halten, das ich auf Mission die ganze Zeit über gehabt hatte. Ohne diesen Druck, so befürchtete ich, würde ich mich geistig zurückentwickeln.

Mit dem zunehmenden, mir selbst auferlegten Druck steigerte ich mich in Angstzustände und bekam Panikattacken. Diese wurden immer häufiger, und schließlich kam ich mir wie eine Ertrinkende vor.

Vor meiner Familie und meinen Freunden verbarg ich meine Gefühle leider. Zwar wusste ich, dass Angstzustände und Depressionen nichts sind, wofür man sich schämen muss; ich war aber so neben der Spur, dass ich nicht einmal wusste, wie ich ausdrücken sollte, was mir zu schaffen machte, und wie ich um Hilfe bitten sollte.

Glücklicherweise ist der Herr immer für uns da und führt uns, wenn wir uns ihm zuwenden. Nach einer Zeit des Grübelns und Betens hatte ich die Eingebung, ich solle meinem Bruder und seiner Frau davon erzählen. Sie halfen mir zu erkennen, dass ich nicht so „daneben“ war, wie ich dachte, und dass jeder unter seelischem Stress leiden kann.

Schwester Reyna I. Aburto, Zweite Ratgeberin in der Präsidentschaft der Frauenhilfsvereinigung der Kirche, hat bezeugt: „Meine lieben Freundinnen, das kann jedem von uns passieren – vor allem, wenn wir, die wir ja an den Plan des Glücklichseins glauben, uns unnötige Lasten auferlegen, weil wir meinen, wir müssten schon jetzt vollkommen sein. Solche Gedanken können erdrückend sein. Vollkommen zu werden ist ein Vorgang, der unser ganzes Leben auf der Erde andauert und auch danach noch weitergeht und der nur durch die Gnade Jesu Christi möglich ist.“1

Ein inspirierter Kurs

Als ich im Gebet den Vater im Himmel um Führung bat, erkannte ich, dass ich dem Material, das er uns zur Verfügung stellt, eine Chance geben musste. Es war an der Zeit für mich, dazuzulernen und mich zu meinem Vorteil zu verändern. Zu der Zeit wurde bei uns glücklicherweise gerade der Kurs der Kirche zur Verbesserung der seelischen Widerstandskraft angeboten. Dies schien genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen, was sicherlich kein Zufall war.

Laut Kursunterlagen hat jemand seelische Widerstandskraft, wenn er

  • fähig ist, sich seelischen Problemen mutig und mit einem auf Jesus Christus ausgerichteten Glauben zu stellen;

  • sich selbst und anderen hilft, so gut er kann;

  • bei Bedarf um weitere Hilfe bittet.2

Mit anderen Worten: Seelische Widerstandskraft ist etwas, was wir alle brauchen.

Für mich ist dieser inspirierte Kurs ein klares Zeichen, dass der Vater im Himmel weiß, welchen Prüfungen wir Mitglieder der Kirche Jesu Christi heute gegenüberstehen. Er möchte uns helfen, auf dem Weg zurück zu ihm weiter voranzukommen. Als ich all die wunderbaren Themen überflog, die im Kurs behandelt werden, wurde mir klar, wie genau der Vater im Himmel jeden von uns und unsere Bedürfnisse kennt. Gleich beim Einstieg konnte ich spüren, wie mich innerer Friede erfüllte. Der Kurs führt uns klare und eindrucksvolle ewige Wahrheiten vor Augen, die wir im Umgang mit psychischen Problemen praktisch anwenden können – mag es um uns selbst gehen oder um jemanden, der uns am Herzen liegt.

In Kapitel 9 geht es darum, anderen Kraft zu geben, und was ich dort gelesen habe, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Es hat mir den Anstoß gegeben, endlich weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen. In dem Kapitel wird der Grundsatz herausgestellt, dass wir einander dienen sollen. Ich lernte, wie wichtig es ist, für andere da zu sein, indem man ihre Gefühle, Gemütsbewegungen und Meinungen annimmt, auf sie zugeht und ihnen Mitgefühl und Verständnis entgegenbringt. Außerdem erkannte ich, dass ich anderen vertrauen musste, damit sie mir bei dem helfen konnten, was ich durchmachte.

Als ich lernte, diese Anregungen in die Praxis umzusetzen, und meiner Familie und meinen Freunden von meinen psychischen Problemen erzählte, war ich überrascht, wie mitfühlend und unvoreingenommen sie waren. Sie haben mich wirklich sehr unterstützt.

Ich schätze, meine Angstzustände hätten eine noch schlimmere Wendung genommen, wenn ich meine Probleme nicht mit meinen Angehörigen besprochen hätte. Diese Erfahrung hat mir geholfen, auch selbst auf andere zuzugehen und ihnen bei ihren Sorgen und Problemen beizustehen.

Wir können voll Hoffnung in die Zukunft blicken

Heute finde ich es absurd, dass ich nach meiner Rückkehr von Mission so besorgt war, das „geistige Terrain“ aufzugeben, das ich mir auf Mission erobert hatte. Inzwischen habe ich nämlich erkannt, dass meine Rückkehr nach Hause lediglich ein neues Kapitel in meinem Leben war, worin ich neue Wege zur Vertiefung meines Glaubens finden konnte.

Seit ich wieder zuhause bin, ist meine Beziehung zum Vater im Himmel und zu Jesus Christus sehr gewachsen. Sie hat sich vor allem infolge der Grundsätze vertieft, die ich in dem Kurs zur Verbesserung der seelischen Widerstandskraft gelernt habe. Außerdem vertraue ich nun darauf, dass der Vater im Himmel und der Erretter mir helfen. Für mich sind sie jetzt im Alltag viel greifbarer und präsenter.

Ich habe gelernt und akzeptiert, dass wir als Kind Gottes uns immerzu verändern, dass wir lernen und uns weiterentwickeln. Und doch ist der Vater im Himmel trotz all der Veränderungen in unserem Leben unveränderlich. Er hat von mir nicht erwartet, dass ich auf Mission vollkommen bin. Auch jetzt erwartet er das nicht. Er liebt mich einfach und möchte, dass ich weiterhin bestrebt bin, mich ihm zu nähern und auf dem Weg zu ihm zurück mein Bestes zu geben.

Ist es nun so, dass ich – nachdem ich den Kurs zur Verbesserung der seelischen Widerstandskraft absolviert habe – keine Angstzustände oder Panikattacken mehr bekomme und mich niemals mehr von Zukunftsängsten einschüchtern lasse? Nein. Gelegentlich kommt das noch immer vor. Aber jetzt erkenne ich das Muster dahinter und habe Werkzeuge an die Hand bekommen, die mir helfen, meinen Ängsten auf gesündere Art und Weise zu begegnen. Das führt zu einer erheblich verbesserten Lebensqualität.

Letztlich hat mir dieser Kurs Bewältigungsmechanismen für Zeiten vermittelt, in denen ich Ängste und Anfechtungen erlebe. Durch ihn habe ich gelernt, geduldig mit mir selbst und meinen Unvollkommenheiten zu sein und Mitgefühl mit mir selbst zu haben. Außerdem verstehe ich nun besser, wie Gott mich sieht und dass ich mich nicht von den Unwägbarkeiten der Zukunft einschüchtern lassen darf.

Mithilfe von Fachleuten und mit der Hilfe von ganz oben bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass wir das nötige Rüstzeug haben und selbst handeln können und nicht durch Gemütsbewegungen und Gefühle auf uns einwirken lassen müssen (siehe 2 Nephi 2:26) – vorausgesetzt, wir gehen stets auf Christus zu.

Anmerkungen

  1. Reyna I. Aburto, „In Schatten und Licht – Herr, verlass mich nicht!“, Liahona, November 2019, Seite 58

  2. Siehe Finding Strength in the Lord: Emotional Resilience, 2021, Seite 8, ChurchofJesusChrist.org (in englischer Sprache)