2022
Wurzeln und Glaube der Pioniere in Österreich
Juni 2022


Wurzeln und Glaube der Pioniere in Österreich

Wien (RHS): Liebe Brüder und Schwestern, die Kraft und Macht der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage liegt in den persönlichen Zeugnissen der Mitglieder! Die Opferbereitschaft und der aktive Glaube unserer Pioniere in Österreich bilden bis heute das Fundament, auf dem wir aufbauen können. Ihre Wurzeln waren im Glauben an Jesus Christus fest verankert.

Die erste Zusammenkunft von Heiligen fand 1901 in einer Scheune des Milchbauern Johann Huber senior in Rottenbach, Gemeinde Haag am Hausruck, Oberösterreich, statt. In den Jahren 1908 und 1909 bestand bereits eine kleine Gemeinde in Wien – erstaunlich, dass hier bereits Missionare arbeiten durften, und das noch in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie!

1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurden die Missionare zurück in die Heimat geschickt. Die Brüder mussten zum Militärdienst, die treuen Schwestern blieben allein. Sie versammelten sich in privaten Wohnungen und es wird berichtet, dass Johann Huber senior von Zeit zu Zeit Wien besuchte und den Schwestern das Abendmahl reichte. Die Schwestern verwalteten damals sogar den Zehnten!

Zwischen 1918 und 1939 arbeiteten Missionare in Wien, Oberösterreich und Salzburg, und sie waren erfolgreich, es bildeten sich hier erste Gemeinden. Dann kam der Zweite Weltkrieg.

Mitten im Krieg, am 15. August 1942, wurde mein Vater Engelbert Schauperl senior in Salzburg in einem Bach getauft. Das kam so: Mein Vater suchte nach Wahrheit und fand sie nicht. Seine Erkenntnis gipfelte in der Aussage: „Die wahre Kirche Gottes gibt es nicht auf Erden!“ Jahrelang lebte er in dieser Annahme, bis er 1942 zum Militärdienst eingezogen wurde. Man schickte ihn jedoch nicht an die Front, sondern in eine Kaserne nach Salzburg. Hier wurde für den Nachschub an die Front gearbeitet, auch die Zivilbevölkerung wurde eingesetzt. Alle Berufe waren vertreten. Mein Vater war Schuhmacher. Da gab es unter den Arbeitenden verschiedene Diskussionen, auch einmal über Religion. Vater wiederholte seinen Standpunkt: Die Kirche Gottes gibt es nicht auf Erden! „Das stimmt nicht“, sagte eine Frau zu ihm und gab ihm ein Buch Mormon. Vater berichtete mir später, er habe das Buch Mormon zu zwei Dritteln durchgelesen gehabt, als er ein Zeugnis empfing und daraufhin den Wunsch äußerte, getauft zu werden. So war es dann auch. Nach seiner Taufe unter so besonderen Umständen war mein Vater an seinem Ziel angelangt und widmete sein ganzes restliches Leben dem Herrn.

1943 war er Besatzungssoldat in Holland, suchte dort den Kontakt mit einer Gemeinde in Groningen und kam unmittelbar nach Beendigung des Krieges, am 5. Oktober 1945, aus der Kriegsgefangenschaft nach Graz zu seiner Familie zurück. Wieder begann Vater in seinem Beruf zu arbeiten, und es gab dann die nächsten sieben Jahre eine sogenannte Heim-Sonntagsschule bei uns in der Familie. Sie vergrößerte sich durch einen Bruder, der aus Wien kam. Dieser arbeitete in Graz und wohnte bei uns zur Untermiete. Für uns war dieser Bruder wie ein Lichtstrahl. Er war in der Kirche groß geworden, durch ihn bekamen wir Kirchenliteratur auf Deutsch zu lesen – das ganze Kirchenprogramm sozusagen!

Kurz darauf heiratete dieser Bruder und brachte nun auch seine Frau und deren Geschwister zu uns in die Heim-Sonntagsschule, die dadurch um vier Personen vergrößert wurde. 1953 kamen auch Missionare nach Graz, und schließlich wurde am 19. Mai 1953 in unserem Haus die Gemeinde Graz gegründet. Die Urkundenübergabe erfolgte am 14. Mai 1953. Es waren zwölf Personen, die durch ihre Glaubenstreue und Opferbereitschaft das Fundament der Kirche in der Steiermark bildeten. Ihre Wurzeln waren fest im wiederhergestellten Evangelium verankert, was zur Folge hatte, dass in vielen weiteren Städten das Evangelium gepredigt wurde und sich kleinere Gemeinden bildeten.

Nach dem Krieg begann für ganz Österreich eine neue Zeit. Am 28. März 1946 fand in Wien in der Seidengasse 30, im 7. Bezirk, eine Sonderversammlung mit dem späteren Präsidenten Ezra T. Benson statt. Neben ihm sprach Bruder Max Zimmer. Die Einladung zu dieser Versammlung besitze ich noch heute.

In den Jahren 1949/50 gab es auf österreichischem Boden 24 Missionare. Auch von der Entwicklung in Kärnten kann ich als dorthin berufener Missionar berichten. Missionare arbeiteten hier offiziell ab dem Jahr 1955, und die erste Versammlung fand am 5. Februar 1955 im Klagenfurter Arbeiterkammersaal statt. Ein Jahr später, am 25. März 1956, wurde im Klagenfurter Römerbad der erste Taufgottesdienst abgehalten. Sieben Personen konnten getauft werden, allesamt Schwestern. Das war das Fundament der Kirche im Bundesland Kärnten. Respekt und Achtung für deren Glaubenstreue und Opferbereitschaft und deren Zeugnis! Kurz darauf fand in der Privatwohnung einer Schwester die erste Zeugnisversammlung statt. Durch die Missionsarbeit in anderen Teilen Kärntens, wie Lienz/Osttirol, Spittal an der Drau, Friesach und so weiter fand das Evangelium weitere Verbreitung. Auch in anderen österreichischen Bundesländern wurde das Evangelium verkündet. Überall waren es wenige Mitglieder, die aufopferungsvoll das Fundament der Kirche bildeten. Zu dieser Zeit gab es auch „Baumissionare“, die manuell, aber auch geistig in der Kirche tätig waren. Einige von ihnen leben noch unter uns.

Liebe Brüder und Schwestern, wir sind in der Gesamtbevölkerung mit unserem Glauben in der Minderheit, folglich sind wir alle Pioniere und Wegbereiter durch unser Leben und Beispiel gemäß unserem Glauben an Jesus Christus. Ich möchte Ihnen mein Zeugnis geben: Das wiederhergestellte Evangelium von Jesus Christus ist wahr und lebendig! Es ist der richtige Weg. Bleiben wir unseren Bündnissen treu!

(Nach einer Ansprache auf der Pfahlkonferenz Wien, Oktober 2021)