Geschichte der Kirche
Weihung und Treuhandschaft


„Weihung und Treuhandschaft“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

„Weihung und Treuhandschaft“

Weihung und Treuhandschaft

In den Jahrhunderten seit Anbruch des christlichen Zeitalters haben viele Gruppen versucht, wie die Christen aus dem Neuen Testament, die in der Apostelgeschichte erwähnt werden, „alles gemeinsam“ zu haben.1 Durch Offenbarung erfuhr Joseph Smith, dass diese Lebensweise deutlich älteren Ursprungs war. Bei seiner Arbeit an der inspirierten Übersetzung der Bibel diktierte Joseph Smith eine Offenbarung über die alte Stadt Henochs, deren Einwohner „eines Herzens und eines Sinnes“ waren; auch gab es „keine Armen unter ihnen“2.

Im darauffolgenden Januar empfing Joseph Smith im Bundesstaat New York eine Offenbarung, worin die Mitglieder der Kirche aufgefordert wurden, nach Ohio zu ziehen, wo der Herr ihnen sein Gesetz geben wollte.3 Unterdessen lebte auf der Farm von Isaac und Lucy Morley eine Gruppe Neubekehrter, die man „die Familie“ nannte. Sie versuchten, alles gemeinsam zu haben, wie es ihrem Verständnis nach dem neutestamentlichen Ideal entsprach.4 Bei ihrer Ankunft in Ohio erkannten Joseph Smith und John Whitmer, dass der von Familie Morley praktizierte Kommunitarismus zwar bewundernswert, jedoch unhaltbar war.5 Am 9. Februar betete Joseph mit einigen anderen, und sie erhielten eine Offenbarung, in der das Gesetz des Herrn beschrieben wird.6 Infolge dieser offenbarten Anleitung wandte man sich vom Plan des „gemeinsamen Eigentums“, der auf der Farm von Familie Morley ausgeübt wurde, „bereitwillig … ab, um sich dem vollkommeneren Gesetz des Herrn zuzuwenden“7.

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Das Haus auf der Farm von Isaac Morley

Das Haus auf der Farm von Isaac Morley in der Nähe von Kirtland in Ohio

In dieser Offenbarung, manchmal das „Gesetz der Weihung und Treuhandschaft“ genannt, wurde den Heiligen erläutert, wie man wirtschaftliche Gleichheit anstrebt, ohne dabei die freie Willensausübung und die Verantwortlichkeit zu vernachlässigen. Erreicht wurde dies nicht durch gemeinschaftliches Eigentum. Vielmehr sollten die Heiligen ihr Eigentum weihen oder heiligen, indem sie es dazu nutzten, das Werk des Herrn voranzubringen. Die Mitglieder der Kirche erkannten an, dass all ihr irdisches Hab und Gut in Wirklichkeit Gott gehörte, und überschrieben ihren Besitz über den Bischof auf den Herrn. Sie waren jedoch weiterhin Treuhänder – und de facto Inhaber – der Grundstücke und Waren, die sie für sich selbst benötigten. Alles, was sie als Überschuss ansahen, spendeten sie der Kirche, um die Armut zu lindern und Zion zu errichten.8 In der Anfangszeit der Kirche bestand die Aufgabe des Bischofs hauptsächlich darin, das Gesetz der Weihung umzusetzen.9

Dies erwies sich als schwierig, da der Bedarf stets größer als die verfügbaren Mittel schien. Viele Heilige kamen völlig verarmt in Ohio und Missouri an, die Kirche musste in Zion Land erwerben und Häuser bauen, und außerdem schlug den Heiligen von ihren Nachbarn Feindseligkeit entgegen. Die Mitglieder der Vereinigten Firma oder Vereinigten Ordnung – des Rats, der 1832 mit der Verwaltung der Finanzen der Kirche beauftragt wurde – waren sich nicht einig, welche Ausgaben Vorrang hatten.10 Einige Heilige waren in dem, was sie als Überschuss betrachteten und dem Bischof spendeten, großzügig, während andere an überschüssigem Land und Besitz festhielten.11

1838 wurde im Rahmen des Gesetzes der Weihung in zwei Offenbarungen das Gesetz des Zehnten eingeführt.12 In diesen Offenbarungen wird erklärt, dass die Mitglieder nach Weihung Ihres überschüssigen Eigentums „jährlich ein Zehntel all ihres Ertrags“ spenden sollen.13 Die Propheten nach Joseph Smith haben immer wieder betont, dass der Zehnte eine Möglichkeit darstellt, wie die Mitglieder der Kirche nach dem Gesetz der Weihung leben können.14

Während die Grundsätze, die dem Gesetz der Weihung zugrunde liegen, unverändert geblieben sind, gab es – unter prophetischer Führung und als Reaktion auf die sich verändernden Umstände – Änderungen an der Art und Weise, wie die Heiligen dieses Gesetz befolgten. Zum Beispiel regte Brigham Young die Gründung von Genossenschaften in ganz Utah und in den umliegenden Gebieten an. Diese dienten der Aufrechterhaltung von Siedlungen im amerikanischen Grenzland. Außerdem wollte man die wirtschaftlichen Praktiken der Mitglieder besser mit den Offenbarungen Joseph Smiths statt mit der individualistischen Wirtschaft Amerikas in Einklang bringen. Diese Genossenschaften, manchmal „vereinigte Ordnungen“ genannt, wurden im späten 19. Jahrhundert in verschiedenen Ortschaften im gesamten Gebiet des Großen Beckens im Westen der Vereinigten Staaten in unterschiedlicher Form eingerichtet.15

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Orderville in Utah, Zeichnung aus dem Jahre 1875

Orderville in Utah, Zeichnung aus dem Jahre 1875. Dies war eine der Ortschaften, die bestrebt waren, auf Weisung von Brigham Young Grundsätze der Weihung umzusetzen.

Neben dem Zehnten haben die Mitglieder der Kirche viele Möglichkeiten, ihre Zeit, ihre Talente und ihre Mittel zu weihen, um das Werk des Herrn zu verrichten. Schon in Kirtland spendeten die Heiligen Fastopfer für die Armen. In Nauvoo und später in Utah stimmten sich die Mitglieder der Frauenhilfsvereinigung mit den örtlichen und den für die gesamte Kirche zuständigen Führern ab, um sich der Bedürftigen anzunehmen.16 Über den Ständigen Auswanderungsfonds stellten die Mitglieder der Kirche Bekehrten aus Übersee, die sich den Heiligen in Utah anschließen wollten, Mittel zur Deckung ihrer Reisekosten zur Verfügung.17 Das Wohlfahrtsprogramm der Kirche wurde in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführt, um diejenigen zu unterstützen, die unter der erdrückenden Wirtschaftslage während der Weltwirtschaftskrise litten.18 2001 rief der Präsident der Kirche, Gordon B. Hinckley, den Ständigen Ausbildungsfonds ins Leben, um wirtschaftlich benachteiligten Mitgliedern der Kirche aus aller Welt Bildungschancen zu eröffnen.19 Jedes dieser Programme dient dem Zweck des Gesetzes der Weihung: für die Armen und Bedürftigen zu sorgen, liebevoll zusammenzuleben, Müßiggang zu meiden und das Wachstum der Kirche zu fördern.

Verwandte Themen: Bischof; Vereinigte Firma; Zehnter; Frauenhilfsvereinigung von Nauvoo

Anmerkungen

  1. Apostelgeschichte 2:44,45. Das Buch Mormon enthält einen Bericht über Christen, die einst in Amerika ebenfalls „alles unter sich gemeinsam“ hatten, sodass es „keine Reichen und Armen“ gab (4 Nephi 1:3).

  2. „Old Testament Revision 1“, Seite 16, josephsmithpapers.org

  3. „Revelation, 2 January 1831 [D&C 38]“, in: Revelation Book 1, Seite 52, josephsmithpapers.org

  4. Siehe Apostelgeschichte 2:44

  5. Joseph Smith, „History, 1838–1856, volume A-1 [23 December 1805–30 August 1834]“, Seite 93, josephsmithpapers.org; „John Whitmer, History, 1831–circa 1847“, Seite 11, 17, josephsmithpapers.org

  6. „Revelation, 9 February 1831 [D&C 42:1–72]“, josephsmithpapers.org

  7. „History, 1838–1856, volume A-1 [23 December 1805–30 August 1834]“, Seite 93, josephsmithpapers.org

  8. „Revelation, 9 February 1831 [D&C 42:1–72]“, Seite 3, josephsmithpapers.org; Steven C. Harper, „Das Gesetz: LuB 42“, Offenbarungen im Zusammenhang, history.lds.org

  9. Sherilyn Farnes, „‚Ein Bischof für die Kirche‘: LuB 41, 42, 51, 54, 57“, Offenbarungen im Zusammenhang, history.lds.org. Der Bischof ist auch heute noch für das materielle Wohl der Mitglieder seiner Gemeinde zuständig.

  10. Siehe Thema: Vereinigte Firma

  11. Beispielsweise hatte Leman Copley, der sich zuvor in Ohio der Kirche angeschlossen hatte, den Heiligen in New York ein großes Stück Farmland in Ohio versprochen. Er überlegte es sich jedoch anders, möglicherweise weil er in Wirklichkeit keine Rechte an dem Land besaß. Siehe „Historical Introduction“ zu „Revelation, May 20, 1831 [D&C 51]“, josephsmithpapers.org; siehe auch „John Whitmer, History, 1831–circa 1847“, Seite 17, josephsmithpapers.org. Auch in Nauvoo übertrug man dem Bischof urkundlich Eigentum (Sherilyn Farnes und Mitchell K. Schaefer, „‚Myself … I Consecrate to the God of Heaven‘: Twenty Affidavits of Consecration in Nauvoo, June–July 1842“, BYU Studies, 50. Jahrgang, Nr. 3, 2011, Seite 101–132).

  12. Siehe Thema: Zehnter

  13. „Revelation, 8 July 1838–C [D&C 119]“, in: Joseph Smith, Journal, March–September 1838, Seite 56, josephsmithpapers.org

  14. Siehe Lorenzo Snow, „The Spirit and Principles of the United Order“, in: Journal of Discourses, 26 Bände, Latter-Day Saints’ Book Depot, London 1854–1886, 20:368f.; Gordon B. Hinckley, Teachings of Gordon B. Hinckley, Deseret Book, Salt Lake City 1997, Seite 139, 640

  15. Leonard J. Arrington, Great Basin Kingdom: Economic History of the Latter-day Saints, 1830–1900, University of Nebraska Press, Lincoln 1958, Seite 323–337. Die „vereinigten Ordnungen“ nach Brigham Young unterscheiden sich von der im Buch Lehre und Bündnisse genannten „Vereinigten Ordnung“ oder „Vereinigten Firma“. Siehe Matthew C. Godfrey, „Newel K. Whitney und die Vereinigte Firma: LuB 70, 78, 82, 92, 96, 104“, Offenbarungen im Zusammenhang, history.lds.org; Dwight L. Israelson, „United Orders“, in: Daniel H. Ludlow, Hg., Encyclopedia of Mormonism, MacMillan, New York 1992, 4:1493ff.

  16. Jull Mulvay Derr, Carol Cornwall Madsen, Kate Holbrook und Matthew J. Grow, Hg., The First Fifty Years of Relief Society: Key Documents in Latter-day Saint Women’s History, Church Historian’s Press, Salt Lake City 2016, Seite 7ff., 240ff., 358–364

  17. Arrington, Great Basin Kingdom, Seite 77ff.

  18. Leonard J. Arrington und Wayne K. Hinton, „Origin of the Welfare Plan of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“, BYU Studies, 5. Jahrgang, Nr. 2, Winter 1964, Seite 67–85

  19. „Der Ständige Ausbildungsfonds“, Eigenständigkeitsförderung, lds.org/topics/pef-self-reliance