2019
Fahrstuhl-Samariter
September 2019


Fahrstuhl-Samariter

Bild
woman in elevator

Illustration von Anna Godeassi

Als eine Familie aus meiner Gemeinde Fotos davon, wie sie zwei Stunden lang in einem Fahrstuhl festgesteckt hatte, auf Facebook postete, konnte ich nichts damit anfangen. Naja, bis ich selbst in einem Fahrstuhl steckenblieb.

Mein Handy hatte ich zuhause gelassen und so hämmerte ich gegen die Fahrstuhltüren und rief um Hilfe. Außerdem betete ich. Schon bald hörten mich ein paar junge Männer, die – wie barmherzige Samariter – den Notdienst anriefen. Dann sagten sie, dass sie in Wohnung Nr. 38 wohnten und meinten scherzhaft, wenn ich freikäme, könne ich ihnen zum Dank etwas zu essen vorbeibringen.

Sie gingen weiter, und es fiel mir schwer, ruhig zu werden. Was, wenn der Notdienst nicht kam? Ich betete weiter. Ich wusste, dass mein Mann bald von der Arbeit nach Hause kommen und sich fragen würde, wo ich war.

Ich begann wieder zu hämmern. Im Spalt zwischen den Fahrstuhltüren konnte ich Leute vorbeigehen sehen. Ich rief ihnen zu und fragte, ob sie meinen Mann anrufen und ihm von meiner Situation berichten könnten. Das taten sie und ich wurde ruhiger. Nun wusste mein Mann Bescheid und er würde dafür sorgen, dass ich nicht ewig feststeckte.

Ich saß fast eine Stunde im Fahrstuhl. Schließlich kam ein Arbeiter vom Wartungsdienst und befreite mich. Er sagte, der Fahrstuhl habe sich festgeklemmt. So habe er im Fahrstuhlschacht hinaufklettern müssen, um ihn wieder in Betrieb zu setzen. Ich dankte ihm für seine Hilfe.

Später am Tag ging ich zu meinen Nachbarn in Wohnung 38 und bedankte mich. Ich brachte ihnen selbstgekochtes Essen. Sie meinten, es sei nur ein Scherz gewesen mit dem Essen, aber ich war froh, mich bedanken zu können. Wenn ich daran zurückdenke, weiß ich jetzt, was die Familie aus meiner Gemeinde durchgemacht hat. Und ich bin all denen dankbar, die nicht einfach an mir vorbeigegangen sind, sondern stehen geblieben sind und mir geholfen haben.

Sie haben es vielleicht nicht gewusst, aber sie sind dem Beispiel des Erretters gefolgt. Er ist nicht an uns vorbeigegangen und hat uns nicht verlassen. Er hat sein Leben gegeben, damit wir vom körperlichen wie vom geistigen Tod errettet werden können. Deshalb will ich versuchen, seinem Beispiel zu folgen, und nie an den Problemen eines anderen vorbeigehen. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, durch die ich unverhofft mehr Wertschätzung für ihn und für seine Segnungen gewonnen habe.