2022
PV-Lieder zuhause lernen
Juli 2022


Stimmen von Heiligen der Letzten Tage

Das gerettete Lamm

Salzburg (RHS): Ich erfuhr 2021, dass ich vor über 60 Jahren ein Lamm gerettet habe. Da ich in Oberösterreich einen sehr guten Freund habe, der sein Leben im Rollstuhl verbringt, fahre ich regelmäßig zu ihm, um ihn zu besuchen. Als ich nach unserem letzten Besuch wieder nach Hause fuhr, blieb ich bei einem Bauernhof stehen, bei dem gerade der Dachstuhl repariert wurde. Ein älterer Mann kam auf mich zu und meinte, er wüsste, wer ich bin. Mir war der Mann gänzlich unbekannt, und als ich gerade antworten wollte, sprach er meinen Namen aus. Ich war überrascht, weil er mich kannte, aber ich ihn nicht. Dann erzählte er mir, wie wir uns vor 60 Jahren kennengelernt hatten.

Zu diesem Zeitpunkt war ich Knecht auf dem Bauernhof der Familie Brandner, die zur Gemeinde Gaflenz in den Voralpen gehörten. Eines Tages hörte die Bäuerin des Nachbarbauernhofes, Frau Schweighuber, ein Lamm um Hilfe blöken. Die hilflosen Rufe kamen von der anderen Seite des Berges, vom Bauernhof, wo ich arbeitete. Die Schweighuber-Bäuerin schickte daraufhin ihren jungen Sohn zur Brandner-Bäuerin, um den Vorfall zu melden. Ich bekam den Auftrag, der Sache nachzugehen. Da ich wusste, dass die Rufe vom Felsabgrund kamen, nahm ich mir ein langes Seil, und der junge Sohn ging mit mir mit. Als wir die Felswand erreichten, sahen wir ein Lamm einige Meter unterhalb des Gipfels. Ohne Hilfe konnte es nicht mehr an der Wand zur restlichen Schafherde hochklettern. Ich befestigte das Seil an einem Baum, schlang es um meinen Körper und begann den steilen Abstieg. Als ich das Lamm erreichte, nahm ich es vorsichtig an mich und befestigte es mit dem Seil. Bepackt mit dem Lamm war der Aufstieg um einiges beschwerlicher, aber nach einiger Zeit war das Lamm wieder bei seiner Herde.

Für mich war dieses Erlebnis nichts Besonderes, da mir der körperlich anstrengende Alltag eines Knechtes über die Jahre zur Gewohnheit geworden war. Aber für den jungen Buben war es ein kleines Wunder, das sich über die Jahre tief in seinen Erinnerungen und in seinem Herzen verankerte bis zu dem Tag, als wir uns 60 Jahre später wiedersahen.

Es war ein freudiger Moment, als ich von seinen Erinnerungen an unser Erlebnis erfuhr. Er erzählte mir, dass er eines Tages beschlossen hatte, ein Kreuz genau an der Stelle aufzustellen, wo das Lamm gerettet wurde, damit andere gläubige Menschen von diesem Erlebnis erfahren und es als Wunder Gottes wahrnehmen konnten. Leider hatte er damals vergessen, den Grundbesitzer um Erlaubnis zu fragen, und so musste er zu seiner tiefen Enttäuschung das Kreuz wieder abmontieren. Ich bin sehr dankbar, dass ich von dieser Geschichte erfahren durfte. Es erinnert mich daran, wie Jesus dem 100. Schaf nachging, um es zurück zur Herde zu bringen, und ich frage mich, ob damals auch ein Kind mitgegangen ist und sich dieses Erlebnis in sein Herz eingebrannt hat.