2022
Im Bundesvolk Gottes unserem Bund treu sein
Februar 2022


Im Bundesvolk Gottes unserem Bund treu sein

Wenn wir die Bündnisse annehmen, die Gott jedem seiner Kinder anbietet, und sie auch halten, führt das zu einer inneren Wandlung.

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photographs of Charlotte with her brother and her husband

Nachdem sich Charlotte und Morgan (gegenüberliegende Seite) die Botschaft vom wiederhergestellten Evangelium angehört hatten, folgten sie dem Erretter bereitwillig nach; unten: Charlotte und Laurent als Verlobte (kleines Foto) und anlässlich ihrer Siegelung 1995 beim Tempel in Zollikofen

Fotoalbumseiten und Fotoecken von Getty Images

Regis Carlus begegnete ich zum ersten Mal 1995 in Frankreich. Er gehörte nicht der Kirche an. Seine Tochter Charlotte sollte tags darauf im Bern-Tempel in der Schweiz gesiegelt werden, und er hatte geschrieben, er wolle gern zu mir ins Büro kommen und mit mir reden. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass ich mich oft nach ihm erkundigte, und er sei doch neugierig, was für einen Grund das habe.

Ich kannte und mochte Charlotte und Morgan, seine Kinder – damals beides junge Erwachsene. Sie waren 1991 – also ein paar Jahre zuvor – getauft worden, als ich Präsident der Frankreich-Mission Bordeaux gewesen war. Als meine Frau Kathy und ich Charlotte und Morgan das erste Mal begegnet waren, war uns bereits aufgefallen, was für gute Menschen die beiden waren.

Erst kürzlich hatte mir Morgan geschrieben, was er über seine Taufe und den Bund dachte, den er geschlossen hatte: „Bevor ich das Evangelium kannte, war ich ein 18-jähriger Atheist gewesen, der sich nach wirklichem Glück sehnte, jedoch nicht wusste, wo es zu finden war. Der Heilige Geist berührte mein Innerstes so stark, dass ich es nicht übers Herz brachte, meinen Vater im Himmel und seinen Sohn Jesus Christus zu enttäuschen. Aus diesem Grund halte ich den Taufbund sowie meine Tempelbündnisse und bemühe mich, jemand zu sein, der seine Bündnisse in Ehren hält.“1

Charlottes Entschluss, ein Leben im Einklang mit dem Gesetz Gottes zu führen, hatte sich bereits abgezeichnet, bevor sie sich der Kirche anschloss. Etliche Jahre später erzählte mir ihre Tochter Amélie, dass Charlotte schon als Jugendliche das Gefühl gehabt habe, „anders als ihre Freundinnen zu sein. Ihre Freundinnen tranken, rauchten und missachteten das Gesetz der Keuschheit, doch Charlotte verspürte nicht den geringsten Wunsch, es ihnen gleichzutun.“

Und als sich ihnen dann die Gelegenheit bot, entschieden sich Morgan und Charlotte ungeachtet ihrer Lebensumstände dazu, mit dem Herrn Bündnisse zu schließen. Das hat zu einer inneren Wandlung geführt.

Nach ihrer Taufe zog es Charlotte in die Vereinigten Staaten, wo sie studierte und ihren Master in Sprach- und Literaturwissenschaften machte. Außerdem empfing sie im Tempel das Endowment. Morgan erfüllte eine Mission in England.

Ich war bewegt davon, wie bereitwillig diese beiden jungen Leute dem Erretter folgten. Natürlich hoffte ich, dass ihr Beispiel auch bei ihren Eltern Schule macht.

Nachdem ich als Generalautorität berufen und der Präsidentschaft des Gebiets Europa – Mittelmeerraum zugeteilt worden war, erreichte mich also der Brief von Monsieur Carlus mit der Bitte um ein Treffen. Ich hoffte, er würde sich ebenso wie seine Kinder für das wiederhergestellte Evangelium entscheiden.

Der Herr hat verheißen, sein Volk zu sammeln

Auf die Begegnung mit Monsieur Carlus freute ich mich schon. Dabei kam mir in den Sinn, dass der Herr ja verheißen hatte, Israel in den Letzten Tagen „von den vier Enden der Erde ein[zu]sammeln“ (3 Nephi 16:5). Er wollte ein Bundesvolk aufrichten, das „zur Erkenntnis der Fülle [seines] Evangeliums“ (3 Nephi 16:12) kommt. In unserer Evangeliumszeit drückte der Herr sich so aus: „Zion wird erblühen [und] ein Panier für die Völker sein, und aus jeder Nation unter dem Himmel werden welche zu ihm kommen.“ (Lehre und Bündnisse 64:41,42.)

Die Stimme des Herrn ergeht zwar an alle Menschen (siehe Lehre und Bündnisse 1:4), doch wird laut dem Herrn sein Bundesvolk in den Letzten Tagen im Vergleich zur gesamten Erdbevölkerung „nur klein“ an Zahl sein. Dennoch werde „die Kirche des Lammes, nämlich die Heiligen Gottes, … über den ganzen Erdboden verbreitet“ sein (1 Nephi 14:12). Diese Heiligen würden sich in Vorbereitung auf das Zweite Kommen des Erretters (siehe Lehre und Bündnisse 45:43,44) durch Bündnisse Gott gegenüber bindend verpflichten (siehe Lehre und Bündnisse 82:11) sowie an heiligen Stätten stehen und nicht wanken (siehe Lehre und Bündnisse 45:32).

Nephi beschreibt das Bundesvolk der Letzten Tage wie folgt: „Ich, Nephi, sah die Macht des Lammes Gottes, dass sie auf die Heiligen der Kirche des Lammes herabkam und auf das Bundesvolk des Herrn, das über den ganzen Erdboden zerstreut war; und sie waren mit Rechtschaffenheit und mit der Macht Gottes in großer Herrlichkeit ausgerüstet.“ (1 Nephi 14:14.)

Leider wird es auch Menschen geben, „die nicht auf die Stimme des Herrn hören wollen, auch nicht auf die Stimme seiner Diener“ (Lehre und Bündnisse 1:14).

Die ausgeschlagene Einladung

In den 1960er Jahren war Charlottes Vater in seiner Studentenzeit von Missionaren im Evangelium unterwiesen worden. Er fühlte sich zwar zur wiederhergestellten Kirche hingezogen und spürte, welche Macht dem Buch Mormon innewohnte, doch er befand, seiner beruflichen Laufbahn wäre es wohl eher hinderlich, wenn er sich einer kleinen, in Amerika beheimateten Kirche anschlösse.

Als ich nun Monsieur Carlus an besagtem Tag im Jahr 1995 begrüßte und wir nett miteinander plauderten, fragte er mich, warum ich mich nach ihm erkundigt hatte.

Zunächst betete ich mit ihm. Anschließend sagte ich ihm, dies sei für uns vielleicht die einzige Gelegenheit, wo sich unsere Wege kreuzten. Ich beglück-wünschte ihn zu seinen bemerkenswerten Kindern und sagte ihm, wie sehr ich ihn dafür achtete, dass er seine Tochter und seinen Sohn zu rechtschaffenen Menschen erzogen hatte.

Dann erzählte ich ihm, was der Erretter mit der Wiederherstellung seines Evangeliums auf der Erde bezweckt habe, welche Rolle dem Priestertum hierbei zukomme, weshalb die Familie und die siegelnde Macht so wichtig seien und wie sich das Bundesvolk weltweit sammle.

Ich sagte ihm, es scheine mir, als sei es seine redliche Bestimmung gewesen, sich dem Bundesvolk der Kirche anzuschließen, als er damals von den Missionaren unterwiesen worden war. Ich fragte ihn, ob es ihm etwas ausmache, zwei Verse mit mir zu lesen, die meiner Meinung nach auf ihn zuträfen.

Also lasen wir zusammen im Buch Alma von denen, die „von Grundlegung der Welt an … aufgrund ihres außerordentlichen Glaubens und ihrer guten Werke berufen und vorbereitet [waren]; zualler-erst war es ihnen überlassen, Gut oder Böse zu wählen; weil sie nun das Gute erwählt und überaus großen Glauben ausgeübt haben, sind sie durch eine heilige Berufung berufen, … während andere den Geist Gottes aufgrund der Härte ihres Herzens und Verblendung ihres Sinnes verwerfen, während sie, wenn es nicht deswegen wäre [schließlich waren sie auf derselben Stufe], eine ebenso große Freiheit gehabt hätten wie ihre Brüder“ (Alma 13:3,4).

Höflich erklärte ich Monsieur Carlus, er sei meiner Meinung nach darauf vorbereitet worden, sich uns zuzugesellen. Dann habe die Welt ihn mehr angezogen und er habe abgelehnt, der Herr habe ihn jedoch weiterhin gesegnet und ihm zwei auserwählte Geister geschickt – seine beiden Kinder. Sie schlugen den Weg ein, der eigentlich für seine ganze Familie vorgesehen war: den Weg der Bündnisse. Dann bat ich ihn, jetzt die Einladung anzunehmen, die er 30 Jahre zuvor erhalten hatte.

Leider hat sich Regis Carlus zu Lebzeiten nicht der Kirche angeschlossen, doch seine Kinder wählten den Weg der Bündnisse und wichen nie von ihm ab.

Ein starkes Zeugnis, ein lebendiger Glaube

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photographs of Charlotte with her husband and children

Von oben nach unten: Laurent und Charlotte mit ihren ersten beiden Kindern Amélie und Valentine; bei einer Wanderung in Utah; mit der Familie im Dezember 2008 in Rexburg in Idaho; gegenüberliegende Seite: Familie Passe mit Charlottes Vater Regis Carlus 

Ende 1998 trafen meine Frau und ich Charlotte und ihren Mann Laurent Passe in Salt Lake City. Charlotte machte damals gerade an der University of Utah ihr Doktorat in Vergleichender Literaturwissenschaft.

Nach wie vor waren die beiden auf dem Weg der Bündnisse, doch ich erfuhr auch, dass sie knapp bei Kasse waren. Durch etliche nur notdürftig abgedichtete Ritzen in ihrer Wohnung pfiff der kalte Wind. Ihre drei Kinder waren immer dick angezogen, weil das Heizen für sie zu teuer war. Charlotte hatte ihre Tochter Valentine zuhause zur Welt gebracht, weil sie und ihr Mann sich weder Versicherung noch Krankenhausaufenthalt leisten konnten.

Auch mit der Rückkehr nach Frankreich besserte sich die finanzielle Lage kaum. Die beiden hatten Probleme, eine lohnende Anstellung zu finden. Einmal fragte Charlotte eine Freundin, was sie ihr raten würde, falls das Geld nicht reiche, den Kindern zu essen zu geben und den Zehnten zu zahlen. Der Rat ihrer Freundin lautete: „Zahle als Erstes deinen Zehnten, und wenn du etwas zu essen brauchst, geh zum Bischof.“

Das waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, vor denen sie standen. Ihre Mutter war von Anfang an gegen Charlottes Taufe, gegen ihre Ehe und gegen ihre geistigen Entscheidungen nach dem Beitritt zur Kirche gewesen. Trotz des beharrlichen Widerstands ihrer Mutter vertraute Charlotte auf den Herrn, stärkte ihr Zeugnis und hielt ihre Bündnisse.

2008 wurde Charlotte zu einem Vorstellungsgespräch für eine Stelle an der Brigham-Young-Universität Idaho eingeladen. Im Rexburg-Idaho-Tempel empfing sie vom Herrn die Eingebung, sie solle mit ihrer Familie nach Rexburg ziehen.

Frankreich zu verlassen, fiel ihr allerdings sehr schwer. Auch die kulturelle Umstellung nach dem Umzug war eine echte Herausforderung. Die meisten Einheimischen nahmen die Neuankömmlinge freundlich auf und unterstützten Familie Passe. Doch Charlotte hatte zuweilen das Gefühl, einige würden es missbilligen, dass sie an der Uni arbeitete, anstatt zuhause bei den Kindern zu bleiben.

Als ihre Tochter Amélie deswegen einmal nicht zur Kirche mitkommen wollte, sagte ihr Charlotte: „Amélie, ich gehe in die Kirche, um vom Abendmahl zu nehmen und an meine Bündnisse zu denken. Leute, die unsere Situation nicht verstehen, haben keinerlei Auswirkung auf mein Zeugnis.“

Charlotte brachte ihren Kindern bei, dass man zwischen der Institution Kirche und den Mitgliedern unterscheiden müsse. Sie meinte: „Die Kirche ist eine vom Herrn gegründete Institution, geführt von seinen Propheten und Aposteln. Sie lässt uns niemals im Stich. Die Mitglieder hingegen sind unvollkommen, so wie jeder von uns.“

Sie und ihre Familie hätten aufgrund all dieser Schwierigkeiten durchaus der Kirche fernbleiben können. Charlotte war sich jedoch dessen bewusst, dass sie dem Bundesvolk angehörte und daher die Bündnisse, die sie mit dem Herrn geschlossen hatte, in Ehren halten musste.

Auf dem Weg der Bündnisse vorankommen

Charlotte gab ihr Bestes, um für die Kinder da zu sein. Sie half bei den Hausaufgaben und beim Schulunterricht zuhause, während Laurent sein Englisch verbesserte. Ihrem Tagebuch vertraute sie einmal an: „Es gibt einfach zu viel zu tun. Ich versuche, mich um Haushalt, Kinder und Lebensunterhalt gleichermaßen zu kümmern, und das lastet schwer auf mir.“

Aber sie machte weiter und schrieb, der Geist habe ihr beim Beten zugeflüstert: „Arbeite auf jeden Fall weiter, auch wenn die Last nicht sofort von dir genommen wird. Nutze dein gutes Einkommen, um dich und deine Familie auf das vorzubereiten, was auf dich zukommt.“

2016 wurde bei Charlotte Brustkrebs diagnostiziert. Die Behandlung schlug zunächst an, 2019 kehrte der Krebs jedoch zurück. Das hielt sie nicht davon ab, weiterhin für andere da zu sein und sie zu stärken, bis sie im April 2021 – im Alter von 50 Jahren – ihrer Krankheit erlag.

Als Charlotte sich in Montpellier in Frankreich dem Bundesvolk angeschlossen hatte, war sie gerade mal 20 gewesen. Sie selbst hätte niemals von sich behauptet, vollkommen zu sein. Aber sie wusste ihre Bündnisse zu schätzen und wich in den 30 Jahren, die ihr noch vergönnt waren, nicht vom Weg der Bündnisse ab.

Als Charlotte gegen den Krebs kämpfte, schrieb sie in ihr Tagebuch: „Ich bin dankbar – überaus dankbar! –, dass ich den Heiligen Geist habe und imstande bin, persönliche Offenbarung zu empfangen. Ich wüsste nicht, wie ich in meinem Leben ohne diese Orientierung zurechtkäme. Ich wäre wohl verloren.“

Als ich ihre Worte las, musste ich daran denken, dass Präsident Russell M. Nelson uns allen ans Herz legt, auf dem Weg der Bündnisse zu bleiben: „Es wird in künftigen Tagen nicht möglich sein, ohne den führenden, leitenden, tröstenden und steten Einfluss des Heiligen Geistes geistig zu überleben.“2

Connie Ruesch Cosman war in Frankreich auf Mission gewesen, als sich Charlotte auf den Weg der Bündnisse begab. Die Freundschaft der beiden hatte Bestand, und Connie reiste aus Arizona an, um Charlotte in den letzten zwei Wochen ihres Lebens pflegen zu helfen. Schwester Cosman schreibt: „Was immer der Herr von ihr verlangte – Charlotte hatte nie Zweifel und setzte um, was er ihr auftrug. Sie suchte nach Antworten für sich selbst und bekam sie auch. Sie war mir und anderen ein großes Vorbild und wird es immer bleiben.“

Einen Tag, nachdem Charlotte gestorben war, schrieb mir ihr Bruder Morgan: „Sie fehlt mir so sehr. Wir standen uns sehr nahe.“ Dann erzählte er von einem geistigen Erlebnis, das er in der ersten Nacht nach ihrem Tod hatte.

„Ich weiß jetzt, dass sie glücklicher ist als je zuvor“, sagte er und fügte hinzu, dass dieses geistige Erlebnis „das, was ich bereits wusste, nachdrücklich bestätigt und mein gebrochenes Herz geheilt hat.“

Kinder des Bundes

Wenn wir uns dazu entscheiden, die Bündnisse, die Gott uns entlang des Wegs der Bündnisse anbietet, von ganzem Herzen anzunehmen und zu halten, verändert dies unser Leben. Alma nennt das „geistig aus Gott geboren“ (Alma 5:14) werden. Der Erretter bezeichnet diese Wandlung als „von oben geboren“ (Johannes 3:3) werden. Dann werden wir laut ihm „Kinder des Bundes“ (3 Nephi 20:26). Denselben Bund hatte Gott schon mit unserem Stammvater Abraham geschlossen: „Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und mit deinen Nachkommen nach dir, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Für dich und deine Nachkommen nach dir werde ich Gott sein.“ (Genesis 17:7.)

Als Kinder des Bundes sehen wir unser Leben aus dem Blickwinkel des Plans, den unser Vater im Himmel für uns aufgestellt hat. Wir arbeiten an unserem Gehorsam und stärken unseren Glauben an Jesus Christus. Wir beten unentwegt. Wir wissen um unsere Schwächen, haben aber dennoch Hoffnung. Wir sind bemüht, Gott trotz aller Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben, siegen zu lassen. Und wir kehren unablässig um und geben in unserem Bestreben, mehr wie der Erretter zu werden, niemals auf.

Als Diener des Herrn verheiße ich: Wenn wir an unserem Glauben an Gott festhalten und unser Bestes geben, unsere Bündnisse mit ihm zu halten, werden wir durch seine Gnade und Güte erlöst.

Anmerkungen

  1. Zitate von Familienmitgliedern stammen aus dem persönlichen Schriftverkehr mit Elder Neil L. Andersen

  2. Russell M. Nelson, „Offenbarung für die Kirche, Offenbarung für unser Leben“, Liahona, Mai 2018, Seite 96