2022
Glaube ist nicht blind
Januar 2022


Panorama

Glaube ist nicht blind

Halle (Saale)/Wetterau (JW): Elder Bruce C. Hafen und seine Frau Marie K. Hafen veröffentlichten 2018 ihr Buch „Glaube ist nicht blind“ und öffneten so den Weg für eine Vielzahl von Gelegenheiten, sowohl als Einzelne als auch in der Familie, in der Gemeinde, aber auch in Onlinekursen weltweit in einen Austausch zu treten und eigene Glaubensfragen zuzulassen und ernst zu nehmen. Bruder Christian Fischer und seine Frau Gabi wurden von ihrer Pfahlpräsidentschaft als eines von vielen Ehepaaren sowie weiteren Brüdern und Schwestern dazu berufen, auf Grundlage des Buches von Bruder und Schwester Hafen einen Onlinekurs zu entwickeln und diesen in 15 Lektionen wöchentlich mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchzuführen. Kurz vor dem Beginn des zweiten Kurses im Pfahl Leipzig wurde die Möglichkeit genutzt, über die Veranstaltung zu berichten.

Wie habt ihr von dem Buch „Glaube ist nicht blind“ erfahren und was bedeutet es euch persönlich?

Christian: Eines Abends besuchte uns unser Pfahlpräsident und erzählte uns von der Absicht, einen Kurs über das Buch anbieten zu wollen. Sie hätten dabei an uns gedacht. Ich bat ihn darum, mir Zeit zu geben, das Buch zu lesen. Ich bin schnell absolut begeistert von dem Buch gewesen. Das erste Erlebnis, das Bruder Hafen schildert, empfand ich als sehr mutig. Es hat mich beeindruckt, wie ehrlich er war. Auch das Dilemma zwischen unserem Glauben und unserem Zweifel hat er wunderbar gelöst, indem er sagt, dass es weder nur das eine noch nur das andere gibt. Wir sind oft auf eine Art und Weise sozialisiert worden, in der es hieß, dass Glauben gut, aber Zweifeln schlecht sei. Auch in der Schrift lesen wir in Alma, dass wir nicht alles wissen können. Zuletzt hat mich das 3-Phasen-Modell fasziniert, denn ich denke, dass jeder in seinem Leben mal an einen Punkt kommt, an dem der Glaube ins Wanken gerät. Bruder Hafen gibt Denkanstöße, wie man in solch einer Situation weitermachen kann, also aus der Komplexität, wie er sie nennt, wieder herauskommt. Dabei geht er nicht nur auf kirchenspezifische Zweifel ein, sondern hält es sehr breitgefächert. Es können auch persönliche Dinge sein, z.B. eine Krankheit, Enttäuschungen, nicht eingetretene Segnungen, die uns verheißen sind. Ich war also schon bereit, die Aufgabe, die mein Pfahlpräsident mir übertragen wollte, zu übernehmen, bevor ich das Buch im Gesamten gelesen hatte.

Gabi: Ich muss zugeben, dass ich nicht von Anfang an das Gefühl hatte, dass es unbedingt eine Aufgabe für mich wäre, diesen Kurs zu unterrichten. Ich bin, in Bezug auf meinen Glauben, etwas anders gestrickt als mein Mann Christian. Ich würde meinen Glauben als sehr einfach beschreiben. Für mich war es schwerer, einen schnellen Bezug zu dem Buch und den Gedanken, die Elder Hafen und seine Frau dort beschreiben, zu finden. Auch einige Menschen, die unseren ersten Kurs besuchten, beschrieben, dass sie ohne fremde Hilfe viele der Konzepte und auch Begriffe nicht verstanden hätten.

Das Buch ist in verschiedene Themenbereiche unterteilt. Könnt ihr kurz beschreiben, welche grundlegenden Fragen in dem Buch beantwortet werden?

Christian: Dieses Projekt, das auch mehr als 90 Beispiel-Podcasts umfasst, kann man schon als eine Art Forschungsprojekt beschreiben. Die Website hilft, das Buch besser zu verstehen. Bruder Hafen und seine Frau haben wunderbar herausgearbeitet, dass die ersten Dinge, über die wir in unserem Glauben stolpern, meist emotionaler Art sind. Es geht in diesem Schritt meist nicht um Fakten an sich. Vielleicht ist man enttäuscht, fühlt sich angegriffen oder mutlos. In diesem Stadium sind unsere Entscheidungen meist auch nur emotionaler Natur. Ich mag den Begriff „Vertrauensvorschuss“, den er verwendet. Wenn der Nebel so stark ist, dass wir vielleicht noch nicht einmal mehr die eiserne Stange sehen können, sondern sie nur noch fühlen, dann kommt der Moment, an dem wir uns fragen müssen, ob wir dem Herrn weiter vertrauen oder den Stimmen zuhören, die uns von außen sehr laut zurufen, einen anderen Weg einzuschlagen.

Gabi: In dem Buch wird auch unser jüdisches und hebräisches Erbe angesprochen. Ich finde es schön, dass das Buch uns motiviert, mehr nach unserer Freiheit zu suchen. Wir sind es oft gewohnt, eher unserem jüdischen Erbe zu folgen. Wenn uns jemand sagt, dass wir etwas auf eine bestimmte Weise tun sollen, dann sind wir häufig dankbar, dass wir dem nachfolgen können. In dem Buch wird von der eigenen spirituellen Autorität gesprochen, die jeder von uns entwickeln sollte. Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn meine Taten nicht ganz dem Ideal entsprachen, das ich von klein auf gewohnt war und gelehrt worden bin. Die Frage, ob in den Momenten mein Glaube zu schwach oder mein Zeugnis nicht fest genug war, beschäftigte mich oft. Dieses Buch hat mir geholfen zu verstehen, dass dies ganz normale Prozesse sind.

Christian: Wir haben beide schon ein wenig Zeit gebraucht, es für uns selbst zu verstehen, haben aber auch als Ehepartner viel darüber gesprochen. Unsere Großfamilie nahm auch an dem Gedankenaustausch teil, der typischerweise an Sonntagnachmittagen stattfand. Unsere Enkel nannten es dann sogar „Opas Theologie-Talk“. Ich denke, dass auch sie vieles davon für sich mitgenommen haben.

Für wen ist die Teilnahme an diesem Kurs gewinnbringend?

Christian: Der Kurs ist für jedermann geeignet. Nicht jeder wird auf Anhieb einen persönlichen Bezug zu dem Buch oder dem Kurs finden oder vielleicht auch die Notwendigkeit noch nicht sofort erkennen. Es gibt eine entscheidende Stelle in Ether 12:6, in der es heißt, dass unser Zeugnis erst dann bestärkt wird, wenn unser Glaube geprüft wurde. Jeder Mensch wird einmal an diesen Punkt in seinem Leben kommen. Deshalb denke ich, dass man sich auch prophylaktisch mit diesem Buch auseinandersetzen kann. Am besten beschäftigt man sich in einer glaubensstarken Atmosphäre mit den Dingen, an denen man mitunter Zweifel hegt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten, dass sie es als sehr wohltuend und befreiend empfunden haben, in der geschlossenen Runde über ihre Gedanken sprechen zu können.

Ihr beginnt bald euren zweiten Kurs und habt bereits gemeinsame Erfahrungen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesammelt. Was hat euch in dieser Zusammenarbeit beeindruckt? Gab es auch Dinge, die euch selbst zum Nachdenken gebracht haben?

Christian: Der Zusammenhalt in der Gruppe und auch die Offenheit untereinander hat uns sehr beeindruckt. Wenn wir auf Fragen gestoßen sind, gab es immer jemanden, der mit seiner Antwort oder einer Erfahrung weiterhelfen konnte. In dem Buch steht aber auch beschrieben, dass wir nicht auf all diese Fragen in unserem Leben eine Antwort finden werden. Das zu akzeptieren, kann auch beruhigend sein.

Auf welche Art hat die Leitung dieses Kurses euer persönliches Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi bestärkt?

Christian: Hier fällt es mir gar nicht so leicht, eine Antwort zu finden. Ich würde sagen, dass durch den Kurs mein Zeugnis weniger gestärkt, sondern meine Auffassung von bestimmten Dingen bestärkt wurde. Eine Zeugnisstärkung klingt oft sehr gewaltig, aber bestärkt zu werden bei Dingen, die ich selbst so vermutet und gesehen habe, macht mich dankbar. Jeder muss seinen persönlichen Weg im Glauben finden. Ich wünsche mir, dass auch andere diese Begeisterung spüren können.

So wie das Ehepaar Fischer gibt es in nahezu jedem deutschsprachigen Pfahl ein berufenes Ehepaar oder Mitglied, das eine solche Gesprächsgruppe oder eine Institutsklasse leitet oder Jugendführer schult. Dabei geht es immer wieder darum, Glaubensfragen zuzulassen und ernst zu nehmen, sich trotz dieser Fragen innere Ruhe zu schaffen oder zu bewahren, zu lernen, mit vorgeblichen Behauptungen im Internet umzugehen und den Sinn und Zweck von schwierigen Glaubenserfahrungen verstehen zu lernen.

Bruder und Schwester Hafen haben vor vielen Jahren schon damit begonnen, die Konzepte für dieses Buch zu entwickeln, als beide an der BYU Idaho gearbeitet haben. Danach war Bruder Hafen Dekan der juristischen Fakultät der BYU Provo. Immer wieder haben beide beobachtet, wie ernsthafte Gläubige zum Studium an die Universität kamen und oft schnell enttäuscht waren, weil sich ihre idealistischen Erwartungen nicht erfüllten. 2019 hat Elder Hafen auf Einladung der Universität die Konzepte dieses Buches auch den Mitarbeitern der Fakultät für religiöse Bildung erläutert. Ein entsprechender Bericht seines Vortrags erschien im Religious Educator, einer Fachzeitschrift der BYU, und ist auch auf der Website GlaubeIstNichtBlind.org erhältlich. Ebenfalls kann man dort das gesamte Buch elektronisch als PDF oder Hörbuch herunterladen. Dazu gehören auch etliche Podcasts, in denen Mitglieder über ihre Erfahrungen mit schwierigen Glaubenserfahrungen sprechen und schildern, wie sie gelernt haben, damit produktiv umzugehen. Ebenfalls sind dort die Kontaktinformationen und Termine für das Institut und die Gesprächsgruppen in den einzelnen Pfählen zu finden.

Wir laden alle ein, sich diese Website anzuschauen und sich ein Bild davon zu machen, worum es bei dieser Initiative der Gebietspräsidentschaft geht. Wir alle können Schritt für Schritt in unserem Glauben wachsen und durch den Umgang mit Schwierigkeiten gefestigter werden und unseren Glauben zu einem immer sichereren Anker für unser Leben werden lassen.