Generalkonferenz
Redlichkeit – eine christliche Eigenschaft
Frühjahrs-Generalkonferenz 2024


Redlichkeit – eine christliche Eigenschaft

Redlich zu leben erfordert, dass wir Gott, einander und unserer göttlichen Identität treu sind

Gegen Ende seines Wirkens ging der Erretter zum Ölberg und dort in einen Garten namens Getsemani, wo er seine Jünger bat, zu warten.1 Als er dann alleine war, wandte er sich an seinen Vater: „Wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir!“2 Sein qualvolles Leiden ließ ihn, „selbst Gott, den Größten von allen, der Schmerzen wegen zittern und aus jeder Pore bluten“ und er wollte „den bitteren Kelch nicht trinken und zurückschrecken“3. Dennoch schreckte der Erretter in diesem Augenblick tiefer Verzweiflung nicht zurück, sondern trank von dem Kelch und vollendete seine Vorbereitungen für die Menschenkinder.4

Als der Einziggezeugte des Vaters hatte Jesus Christus Macht über Tod, Schmerz und Leid, schreckte aber nicht zurück. Er erfüllte den Bund, den er mit seinem Vater eingegangen war, und offenbarte damit eine christliche Eigenschaft, die in der Welt, in der wir leben, zunehmend wichtiger wird, nämlich Redlichkeit. Er blieb Gott, jedem von uns und seiner göttlichen Identität treu.

Redlichkeit

Jesus Christus ist unser Vorbild. Redlich zu leben erfordert, dass wir Gott, einander und unserer göttlichen Identität treu sind. Redlichkeit ergibt sich aus dem wichtigsten und ersten Gebot, nämlich Gott zu lieben. Weil man Gott liebt, ist man ihm stets treu. Man versteht, dass es Richtig und Falsch sowie absolute Wahrheit gibt – Gottes Wahrheit. Redlichkeit bedeutet, dass wir unsere Maßstäbe nicht senken und unser Verhalten nicht ändern, um andere zu beeindrucken oder von ihnen akzeptiert zu werden.5 Wir tun, was recht ist, und sorgen uns nicht um die Folgen.6 In dem überarbeiteten Missionarsleitfaden Verkündet mein Evangelium! wird Redlichkeit als eine weitere christliche Eigenschaft aufgeführt.7

Vor einigen Jahren wurde Elder Uchtdorf beauftragt, die Präsidentschaft unseres Pfahles neu zu bilden. Er stellte mir bei unserer Unterredung eine Frage, die ich nicht vergessen habe: „Ist in Ihrem Leben irgendetwas vorgefallen, was Sie oder die Kirche in Verlegenheit brächte, wenn die Öffentlichkeit darauf aufmerksam werden würde?“ Überrascht ließ ich kurz mein ganzes Leben Revue passieren und versuchte, mich an Situationen zu erinnern, als ich Erwartungen vielleicht nicht erfüllt hatte. Ich fragte mich: „Wenn andere alles wüssten, was ich getan habe, was würden sie dann von mir oder von der Kirche halten?“

Damals dachte ich, Elder Uchtdorf frage nur nach meiner Würdigkeit, aber inzwischen ist mir klargeworden, dass es eigentlich um Redlichkeit ging. War ich dem treu, wozu ich mich bekannte? War es offensichtlich, dass meine Worte und meine Taten im Einklang waren? Können andere durch mein Verhalten Gott sehen?

Präsident Spencer W. Kimball hat erklärt, dass Redlichkeit unsere Bereitschaft und Fähigkeit ist, nach dem zu leben, woran wir glauben und wozu wir uns verpflichtet haben.8

Treue zu Gott

Redlich zu leben erfordert, dass wir zuallererst Gott treu sind.

Von früher Kindheit an kennen wir die Geschichte von Daniel in der Löwengrube. Daniel war Gott stets treu. Seine eifersüchtigen Zeitgenossen suchten einen Grund, ihn anzuklagen,9 und ersannen ein Dekret, das vorschrieb, dass nur ihre Götter angebetet werden durften. Daniel wusste von dem Dekret, ging aber nach Hause, kniete sich nieder und betete bei offenen Fenstern10 dreimal am Tag zum Gott Israels. Daraufhin wurde Daniel in die Löwengrube geworfen. Früh am nächsten Morgen sah der König, dass Daniels Gott ihn errettet hatte, und erließ ein neues Dekret, dass alle „vor dem Gott Daniels zittern und sich vor ihm fürchten“ sollen, „denn er ist der lebendige Gott“11.

Der König lernte Gott durch Daniels Redlichkeit kennen. Andere sehen Gott durch unsere Redlichkeit – unsere Worte und Taten. Wie Daniel heben wir uns, wenn wir Gott treu sind, immer mehr von der Welt ab.

Der Erretter sagt uns: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“12 Präsident Russell M. Nelson hat den Rat gegeben: Die Welt zu überwinden „bedeutet, die Versuchung zu besiegen, Weltliches als wichtiger anzusehen als das, was von Gott ist. Es bedeutet, der Lehre Christi mehr Vertrauen zu schenken als den Philosophien der Menschen.“13 Ebenso müssen wir der Versuchung widerstehen, auf unserem eigenen Weg und nach dem Abbild unseres eigenen Gottes zu wandeln, dessen Abbild dem der Welt gleicht.14

Die entgegengesetzte Anziehungskraft dieser Welt spielt im Erlösungsplan Gottes eine wesentliche Rolle. Wie wir auf diesen Sog reagieren, bildet den Kern dessen, wer wir sind – das Maß unserer Redlichkeit. Der Sog der Welt kann ganz direkt darauf abzielen, die eheliche Treue zu zerstören, oder eher unmerklich sein wie anonyme Kommentare in Netzwerken, mit denen die Lehre oder die Kultur der Kirche in Frage gestellt werden. Redlichkeit bei unseren Entscheidungen ist ein äußeres Zeichen der inneren Verpflichtung, dem Erretter Jesus Christus nachzufolgen.

Treue zu anderen Menschen

So wie sich Redlichkeit aus dem wichtigsten und ersten Gebot, nämlich Gott zu lieben, ergibt, ergibt sich Treue zueinander aus dem zweiten Gebot, nämlich unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Ein redliches Leben ist kein vollkommenes Leben; es bedeutet nur, dass wir uns jeden Tag bemühen, in erster Linie Gott treu zu sein und in diesem Rahmen auch anderen Menschen treu zu sein. Präsident Oaks sagt dazu: „Jedoch darf unser Eifer, dieses zweite Gebot zu halten, uns nicht das erste vergessen lassen.“15

Die Welt müht sich zunehmend mit Redlichkeit ab und stellt daher verbindliche Verhaltensregeln oder ethische Richtlinien für Beziehungen zwischen Menschen und Institutionen auf. Auch wenn solche Regeln gut sind, sind sie doch im Allgemeinen nicht in der absoluten Wahrheit verankert und neigen dazu, sich je nach kultureller Akzeptanz zu ändern. Ähnlich wie bei der Frage, die Elder Uchtdorf gestellt hatte, weisen einige Unternehmen ihre Angestellten an, zu berücksichtigen, was sich an ihren Entscheidungen oder Entscheidungsprozessen ändern würde, wenn sie online oder auf der Titelseite einer großen Zeitung veröffentlicht werden würden. Die Kirche kommt aus dem Dunkel und der Finsternis hervor,16 und wir müssen uns wie Daniel über weltliche Erwartungen hinwegsetzen und allzeit und überall den wahren und lebendigen Gott repräsentieren17.

Vorzugeben, redlich zu sein, reicht nicht aus, wenn unsere Taten nicht mit unseren Worten in Einklang sind. Auch christliche Güte ist kein Ersatz für Redlichkeit. Als Bundesvolk und als Führer seiner Kirche müssen wir über jeden Vorwurf erhaben sein und den Maßstäben entsprechen, die der Herr festgelegt hat.

Unser redliches Handeln baut Glauben und Vertrauen auf, sodass andere sicher sein können, dass es uns einzig und allein darum geht, den Willen des Herrn zu tun. In unseren Ratsgremien widerstehen wir äußeren Einflüssen und folgen der offenbarten Vorgehensweise des Herrn, Einsichten von jeder Frau und jedem Mann zu hören und im Einklang mit dem inspirierten Rat zu handeln, den wir erhalten.18

Unser Blick ist auf den Erretter gerichtet, und wir vermeiden achtsam jegliches Verhalten, das den Anschein erwecken könnte, wir würden im eigenen Interesse handeln, unsere Familie begünstigen oder jemanden auf Kosten eines anderen bevorzugen. Wir tun alles dafür, damit gar nicht der Eindruck entstehen kann, unser Handeln würde davon beeinflusst, dass wir „nach den Ehren von Menschen streben“19, um persönliche Anerkennung zu erhalten, mehr Likes zu generieren, zitiert zu werden oder auf andere Weise öffentlich sichtbar zu werden.

Treue zu unserer göttlichen Identität

Schließlich erfordert ein redliches Leben, dass wir unserer göttlichen Identität treu sind.

Wir kennen einige, die dieser Identität nicht treu waren. Herausragend ist hier der Antichrist Korihor, der vielen das Herz verführte, weil er ihren „fleischlichen Sinn“20 ansprach. Aber kurz vor seinem Tod bekannte er: „Ich habe immer gewusst, dass es einen Gott gibt.“21 Präsident Henry B. Eyring hat erklärt, dass „Lügen dem Wesen unseres Geistes widerspricht“22, unserer göttlichen Identität. Korihor täuschte sich selbst, und die Wahrheit war nicht in ihm.23

Im Gegensatz dazu verkündete der Prophet Joseph Smith zuversichtlich: „Das wusste ich; und ich wusste, dass Gott es wusste; und ich konnte es nicht leugnen.“24

Der Herr liebte Josephs Bruder Hyrum „wegen der Lauterkeit seines Herzens“25. Er und Joseph blieben bis ans Ende treu. Sie blieben ihrer göttlichen Identität treu sowie dem Licht und der Erkenntnis, die sie erhielten, und auch dem Menschen, der sie – wie sie wussten – einmal werden konnten.

Zum Abschluss

Mögen wir uns mit dem Willen Gottes versöhnen26 und uns die christliche Eigenschaft Redlichkeit aneignen. Mögen wir unserem Vorbild, dem Erretter der Welt, nachfolgen und nicht zurückschrecken, sondern so leben, dass wir Gott, einander und unserer göttlichen Identität treu sind.

Um es mit Ijobs Worten zu sagen: „Gott möge mich wiegen auf rechter Waage, so wird er meine Redlichkeit erkennen.“27 Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.