2022
Gefängnisseelsorge – eine besondere Erfahrung und Herausforderung
Februar 2022


Gefängnisseelsorge – eine besondere Erfahrung und Herausforderung

Wien (RHS): Im Rahmen meiner Arbeit mit Jugendlichen lernte ich leider auch junge Menschen kennen, die im späteren Leben von der Gesellschaft – und oft auch von sich selbst – auf irgendeine Weise „aufgegeben“ wurden. Sie kamen, wie man sagt, „auf die schiefe Bahn“ und landeten im Gefängnis. Als Träger des Melchisedekischen Priestertums hatte ich in all den Jahren meiner Mitgliedschaft in der Kirche mehrere Male auch den Auftrag, Mitglieder im Gefängnis zu besuchen. Dies war aber keine echte, fortgesetzte seelsorgerische Betreuung. Vor etwa sechs Jahren wurden diese sporadischen Aufträge dann wegen eines aktuellen Falles auf die Bitte unseres Bischofs hin in eine Betreuungspflicht umgewandelt, der ich seither regelmäßig nachkomme. Da die Justizanstalt, wo der straffällig gewordene Bruder einsaß, von meinem Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht einfach zu erreichen war, war ich anfangs nicht sehr begeistert, die notwendigen Fahrten mit mehrmaligem Umsteigen auf mich zu nehmen. Doch das Wertvolle und Schöne an meiner Aufgabe ergab sich bereits nach einigen Wochen. Zwischen dem Häftling und mir hatte sich eine Freundschaft entwickelt, und die anstrengenden Besuche waren zu erbauenden Erlebnissen geworden.

Das Aufregendste bei solchen Besuchen ist immer der erste Kontakt mit dem Häftling.

Man steht vor der Herausforderung, einen Menschen so zu sehen, wie der Herr ihn sieht. Welchen Zugang zueinander finden zwei Menschen, die einander das erste Mal sehen und in sehr verschiedenen Umständen aufeinandertreffen? Kann ich meinem Gegenüber vorurteilslos in die Augen blicken? Oder muss ich das Gefühl, „Richter sein zu müssen“, unterdrücken? Bin ich bereit und würdig, nach Inspiration zu streben, wenn ich die Hilfe des Herrn brauche? Bin ich bereit, die guten Seiten eines Kindes Gottes zu erkennen, egal, was er oder sie getan hat? Mir haben in dieser Situation vor allem zwei Zitate geholfen. Eines stammt von Anton Hofbauer, einem Bruder aus unserer Gemeinde: „Es geschieht nichts, es sei denn, dass jemand Glauben habe!“, und eines von Elder Maxwell: „Wenn du einen Menschen so behandelst, wie er ist, wird er bleiben, wie er ist. Wenn du ihn so behandelst, wie er sein könnte, wird er werden, was er werden soll.“

Die Herausforderung eines Gefängnisseelsorgers besteht aus meiner Sicht darin, Glauben an die Fähigkeiten eines straffällig gewordenen Menschen zu entwickeln und in der Folge im Häftling den Glauben an sich selbst zu erwecken! Das erfordert Einfühlungsvermögen und Inspiration sowie einiges an Geduld. Darüber hinaus werden von Zeit zu Zeit von der Justizakademie Kurse für die Ausbildung und Fortbildung von Gefängnisseelsorgern angeboten. Ergänzend dazu laden vor allem die großen österreichischen Kirchen alle Seelsorger, ganz gleich, welcher Kirche sie angehören, zu Seminaren ein. Das Erbauende an diesen Seminaren ist, dass kein Unterschied zwischen Teilnehmern von kleineren oder größeren Glaubensgemeinschaften gemacht wird. Es herrscht dort eine Atmosphäre der Akzeptanz, der Toleranz und der Nächstenliebe. Eines der wichtigsten Lernziele innerhalb dieser Seminare ist es, uns ein Gefühl davon zu vermitteln, wie ein Häftling sich fühlt. Er hat meist keinerlei eigenen Aggressionsbereich, kaum einen eigenen Handlungsspielraum und muss sich den Anweisungen der Gefängnisleitung völlig unterordnen. Der Häftling verliert oft auch seine eigene Identität. Es wird daher vorkommen, dass der Seelsorger der einzige Mensch ist, bei dem der Häftling seine Aggressionen aussprechen und abbauen kann. Bei meinem ersten Seminar für Gefängnisseelsorger konnte ich eine interessante Feststellung machen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus verschiedensten Glaubensgemeinschaften mit sehr unterschiedlichen religiösen Ansichten. Aber ich hatte trotzdem sofort das Gefühl, dass diese Gruppe unabhängig von ihrer Religion etwas Besonderes verband. Es ist die Liebe Christi, die diese Menschen im Herzen haben.

Die Arbeit als Gefängnisseelsorger kann sehr erbauend, aber auch belastend sein. Ich selbst habe mich auch schon von der Betreuung von Häftlingen zurückgezogen, weil es anscheinend keinerlei Erfolg gegeben hat. Aber es überwiegen jene Besuche, bei denen es gelungen ist, Kinder unseres Vaters im Himmel wieder einmal zum Lachen zu bringen. Wo es gelungen ist, mitzuarbeiten, dass der Häftling nicht als gebrochener Mann ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Gefängnis verlassen hat, sondern mit Mut und dem Willen zu einem Neustart im Leben. Zum Erreichen solcher Ziele sind unsere wichtigsten Werkzeuge Freundschaft, Nächstenliebe und Inspiration! Und ich möchte Zeugnis darüber ablegen, wie groß die Freude ist, wenn es uns gelungen ist, mitzuhelfen, einem Kind unseres Vaters im Himmel eine lebenswerte, wertvolle Zukunft zu ermöglichen.